Kreuzdame - Köln Krimi
weder beantworten noch wegscheuchen, und so blieb ich auch während der Festtage gedanklich mit Anna und Klaus beschäftigt.
Nach den Feiertagen begann die Zeit zwischen den Jahren, wie meine Mutter es genannt hatte. Am 27. Dezember kam Lukas, um nachträglich frohe Weihnachten zu wünschen, und fragte, ob Carolin da wäre. Ich bat ihn ins Wohnzimmer und ging zu meiner Tochter. Ob sie mit ihm reden wollte?
»Ja«, sagte sie, »unbedingt«, zog sich um und verschwand für eine Weile im Bad. Später hörte ich sie leise miteinander im Wohnzimmer sprechen. Weinte Carolin? Nein, nach einer halben Stunde kamen sie heraus, eng umschlungen, gingen hinauf in Carolins Zimmer und blieben dort für den Rest des Tages.
Die drei anderen waren längst ausgeflogen, zu Bekannten, zu Freunden oder in die Stadt. Martin fuhr in die Klinik. »Muss leider sein«, murmelte er, als er mich zum Abschied küsste.
Nur Timo war mir geblieben, Timo, mein neuer Sohn, der einige Male mit seiner Mutter telefoniert hatte und jetzt mit mir gemeinsam zu ihr fuhr. Diesmal waren die Straßen eis- und schneefrei. Wir parkten direkt vor Annas Haus. Ich wollte klingeln, aber Timo zog einen Schlüssel aus der Tasche und lachte. »Schließlich bin ich auch noch immer hier zu Hause.«
Anna saß am Esstisch. Sie trug einen eleganten Hausanzug und sah uns lächelnd entgegen. »Endlich vorbei«, sagte sie, und es war nicht klar, ob sie Weihnachten meinte oder ihre Zeit mit Klaus.
Sie kochte Kaffee und schnitt den Stollen in Stücke. Sie streichelte über Timos Kopf, und mir fiel der Satz ein, den er ihr im »Dom Hotel« ins Ohr geflüstert hatte. Wusste er von ihrem Doppelleben? Plötzlich hoffte ich, er würde bald gehen, damit Anna die Geschichte weitererzählen konnte, doch als Timo aufbrach, fiel mir kein Grund ein, ihn allein fahren zu lassen. Sie stand an der Tür und winkte, als wir zum Auto gingen. Timo stieg schon ein, und ich lief noch einmal zurück, die Einfahrt entlang und die drei Stufen hoch, flüsterte: »Anna, wann kommst du?«
Sie lächelte. »Du«, sagte sie, »komm du doch mal zu mir, vielleicht morgen um zwei?«
Ich nickte und lief zum Auto, rief an Timo und Anna gerichtet: »Ich komme«, stieg ein, schnallte mich an und freute mich auf den kommenden Tag.
Am nächsten Morgen verließen die Kinder das Haus, und was von ihnen übrig blieb, war für mich gedacht: schmutzige Wäsche, verkrümelte Zimmer und ein mit Haaren und Puder bekleckertes Bad, dem ich mich als Erstes widmete. Martin würde erst am Abend kommen, nach den Feiertagen war seine durchgehende Anwesenheit in der Klinik unentbehrlich. Als ich das Haus verließ, war alles im Lot. Ich fuhr über die Autobahn, die fast leer war, und bog nach weniger als einer Viertelstunde in Annas Straße ein.
Sie hatte den Tisch gedeckt und Weihnachtsmusik aufgelegt. Wir umarmten uns wie früher, und ich hoffte, die weitere Geschichte würde mir nicht ebenso unter die Haut gehen wie alles bisher Gesagte. Anna ließ sich Zeit. Sie sprach über Timo, über das Haus und wie sie es zu verändern gedächte. Sie war ausgeruht und so gelassen, dass mir wohl ums Herz wurde, vielleicht veränderte sich im letzten Akt alles zum Guten.
»Es war in Berlin«, begann sie plötzlich, »Unter den Linden, wo die Geschichte eine Wendung nahm. In den vielen Jahren bis dahin hatte ich mich gefügt, war geneigt gewesen, das Angenehme zu genießen und das andere zu ertragen. Ich war nicht mehr so bereit wie anfangs, ich entzog mich ihm hin und wieder. Und wenn ich seine Enttäuschung spürte, fühlte ich mich stark, und mir wurde bewusst, wie viel Macht ich über ihn besaß. Die Fahrt nach Berlin war seine Idee gewesen, er wollte dorthin, wo er mich zum ersten Mal getroffen hatte. Das Lächeln in seinem Gesicht war so glücklich gewesen, dass es mir schien, als beginne er, die Lügengeschichte zu glauben, diese erfundene Biografie und die erste Begegnung in Berlin.
Als wir Unter den Linden entlanggingen, hatte er den Arm um mich gelegt und seinen Schritt meinem angepasst. Auf andere werden wir gewirkt haben wie ein verliebtes Paar. Plötzlich kam uns eine junge Frau entgegen, stutzte, sah mich an, blieb stehen, und als wir an ihr vorbeischlendern wollten, rief sie: ›Katharina!‹ Natürlich blieb ich stehen, ich hatte mich längst an diesen Namen gewöhnt. Klaus ließ mich los, zu schnell, wie mir schien, sah die Frau an und fragte abweisend: ›Was wollen Sie von meiner Frau? Sie kennt Sie nicht.‹
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