Kreuzdame - Köln Krimi
anscheinend nicht sehr gequält. Damals hatte er auch den Brief an Martin geschrieben, jenen Brief, den mein Mann so lange vor mir geheim gehalten hatte und in dem Klaus ihn um den Vaterschaftstest gebeten hatte.
»Ich bin wirklich nach Bayern gegangen, habe mich in mich selbst zurückgezogen, wollte wieder die werden, die ich einmal gewesen war. Katharina habe ich hinter mir gelassen, habe die grünen Linsen weggeworfen, meine Haare grau werden lassen und die Locken zurückbekommen. Ich habe gekocht und gegessen, ohne Rücksicht auf meine Figur, habe die High Heels im Kamin verbrannt und die zu eng gewordenen Klamotten beim Roten Kreuz abgegeben. Und allmählich wurde auch mein Gesicht wieder runder, die Nase, die Wangen, die hohen Knochen fielen nicht mehr so auf, und so eine Lippenunterspritzung hält ja auch nicht ewig. Ich bekam wieder Lust zu leben, habe Timo angerufen und ihn gefragt, ob er mich besuchen käme, ich wäre in Bayern gelandet. Er hat gelacht und gesagt: ›Gut so‹, aber gekommen ist er nicht. Ich begann, Italienisch zu lernen. Das machte mir Spaß, ich lebte von einem Tag zum nächsten, bis ich dann beim Duschen im oberen Teil meiner rechten Brust diesen Knoten spürte. Da habe ich Klaus angerufen.«
»Du hast Klaus angerufen? Warum nicht eher Johannes oder sonst jemanden? Warum ausgerechnet Klaus, den du gehasst hast?«
»Ich weiß nicht, ob du das verstehst. Ich war allein, und plötzlich begann er mir zu fehlen. Ich dachte an die schönen Tage, an die leidenschaftlichen Nächte, ich fühlte, dass ich ihn mehr liebte als hasste und dass ich ihn in diesem Moment brauchte, als Arzt und als Mensch. Ich rief ihn also an, und es schien, als ob er sich freute, meine Stimme zu hören. ›Anna‹, sagte er, und es klang warm und freundlich. Und er kam. Ließ alles stehen und liegen, und wir fielen uns in die Arme wie Verdurstende. ›Alles wird wieder gut‹, sagte er und ging mit mir zu einem Krebsspezialisten in München.«
Das Bild von Klaus, das ich in mir getragen hatte bis zu seinem Tod, dieses Bild von einem herzlichen, hilfsbereiten Menschen, das in den letzten Wochen hinter einer grässlichen Fratze verschwunden war, kam nun ein Stück weit zurück. Wenigstens war er zu Anna zurückgekommen, als sie krank geworden war.
»Ja«, sagte Anna, »es war ein Mammakarzinom, das, was ich vermutet hatte. Ich war wie verrückt vor Angst, fürchtete, es könnte sich schon ausgebreitet haben, Metastasen in der Leber, in der Lunge, im Gehirn, wie bei Barbara Rudnik, die nur fünfzig Jahre geworden war, jünger als ich jetzt bin. Sie schnitten an mir rum, und dann kamen die Chemo und die Bestrahlung. Die Haare fielen mir aus, mir war ständig schlecht, aber ich hielt durch. Weißt du, Freiheit ist auch, sich zu fügen und das Unabänderliche anzunehmen. In dieser Zeit dachte ich oft, dass meine Krankheit mit dieser ganzen Geschichte zusammenhing, damit, dass ich keinem hatte verraten dürfen, wer ich wirklich war, mit der Angst, die mich jahrelang begleitet hatte.
Klaus kam alle vierzehn Tage, so wie damals, als er mich operiert hatte. Dann, vor ein paar Monaten, fing es an. Er sah schlecht aus, war mager und ohne Feuer in den Augen. ›Ich bin die, die krank ist‹, sagte ich einmal zu ihm, und er sah mich lange an, bevor er antwortete: ›Ja, das stimmt, aber vielleicht nicht nur du.‹
Eines Tages fiel ihm beim Essen die Gabel aus der Hand, und immer häufiger musste er sein Glas mit zwei Händen anheben. Manchmal gelang es ihm nicht mehr, das Fleisch zu schneiden, und oftmals rutschte ihm die Suppe vom Löffel, so sehr zitterten seine Hände. ›Das ist die versehentliche Entsorgung lebenswichtiger Eiweiße‹, sagte er leise, ›man weiß es aus der Erforschung des Fadenwurms, das führt zum Altern und zu den Krankheiten, zu deiner und meiner, man wird immer schwächer, aber irgendwann werden wir das alles besiegt haben. Alle Krankheiten werden zu heilen sein, wir werden vielleicht ewig leben können, wer weiß …‹
Er wollte nicht mehr nach Köln zurück, blieb bei mir, eine Woche, zwei, drei. Wir gingen über die Felder, langsamen Schrittes, Arm in Arm. Wir horchten dem Wind hinterher und den Vögeln, und wenn der Regen kam, hielten wir ihm unsere Gesichter entgegen. Ich fühlte mich wieder stark, fast gesund. Jedenfalls war meine Hoffnung zurückgekehrt und hatte den Kampf gegen die Angst aufgenommen, und ich wollte, dass auch er an die heilende Kraft der Hoffnung glaubte. Aber eines
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