Kreuzfeuer
angekommen.
Jetzt lagen sie am Fuß eines fast senkrechten Felsabsturzes verborgen, dem steilsten, den Sten sich aus den Aufnahmen der Umgebungssondierung hatte heraussuchen können. Der steilste und der am wenigsten streng bewachte – besonders jetzt.
Weit über ihnen, hinter der Felskante, erstreckte sich die Zitadelle über das Plateau. Der Gebäudekomplex mit seinem gewölbten, wie aufgedunsen wirkenden Mittelteil und den daraus wie Klauen herauswachsenden länglichen Mannschaftsunterkünften mit den Zellen für die Jann-Kadetten erinnerte stark an einen schwarzen Kopffüßler.
Die hell erleuchteten Fenster der Unterkünfte zeichneten sich rot gegen den Schnee ab. Vor seinem inneren Auge konnte Sten auch die »Beule« sehen – den massigen Gebäudekomplex, der außer dem Tempel selbst eine Sporthalle, eine Arena und Verwaltungsbüros beherbergte; er konnte ihre Wettermembranen »ein- und ausatmen« sehen – ein Verfahren, durch das die Atmosphäre im Innern ständig nachreguliert und optimiert wurde. Sogar vom Fuße des Absturzes aus konnte Sten eine dieser Membranen erkennen, die durch die Beleuchtung von innen heraus gelblichrot leuchtete und sich sanft hin und her bewegte, wie das Atmungsorgan eines Lebewesens.
Sogleich musste er die Angstvorstellung aus seinen Gedanken vertreiben, bei der Zitadelle handele es sich um einen einzigen, riesenhaften, feindseligen Organismus – eine organische Einheit, die die Söldner auch prompt den »Oktopus« getauft hatten.
Schnee knirschte hinter Sten, und Alex kam herbei. Ein zweites Knirschen kündigte das Herannahen des nicht mehr wegzudenkenden Kurshayne an, der sich durch den Schnee heraufplagte.
Sten tippte Alex auf die Schulter, reichte ihm das Nachtsichtfernglas und wandte sich um, um die restlichen Söldner auf dem mit Geröll übersäten Bergrücken hinter ihm zu inspizieren.
Die 200 Männer und Frauen waren in weiße Thermo-Overalls gehüllt und tief in Schneewächten eingegraben.
Selbst Stens geübtes Auge konnte nur hier und da eine Bewegung ausmachen, und auch das nur, weil er wusste, wo er hinschauen musste. Die Soldaten trugen nicht nur weiße Tarnkleidung, auch ihre Waffen und Gesichter waren weiß.
Deshalb schrak Sten auch leicht zusammen, als Alex das Nachtsichtgerät absetzte und ihn mit großen, weißumränderten Augen anblickte. Man konnte sich wirklich nur sehr schlecht an weiße Tarnkontaktlinsen gewöhnen.
Sten musste sich beherrschen, um nicht den alten Witz anzubringen, nach dem man erst dann schießen soll, wenn man das Weiße … Alex hob fragend die Augenbraue über einem reinweißen Augapfel. Stens Grinsen war wie weggewischt. Nein, unter diesen Umständen konnte wohl sogar Alex diesem Witz nicht viel abgewinnen.
Die Umstände: zunächst einmal die Zitadelle. Ein todbringender Oktopus im Profil gesehen, hoch oben auf einem steilen Felsen. Ein Felsen mit schwarzen Flecken aus weichem Schiefer, an dem sich nicht einmal Schnee halten konnte. Dort, wo es ihm dennoch gelungen war, war der Stein unter Eis und Schnee alt und verwittert. Sten machte der bröselige Stein keine Sorgen. Damit konnte er umgehen.
Doch dann erwarteten sie die Eisplatten, zehn Meter lange Rasierklingen.
Sten lief es kalt den Rücken hinunter.
Alex spähte noch einmal zu der Felskante hinauf, die sich in einer Höhe von etwa einem Kilometer über ihnen befand.
»Mag ich ja nicht besonders, solche extremen Höhen«, gestand der Schwerweltler flüsternd. »Normale Kerle hüpfen wie Gummibälle, wenn sie da runterplumpsen, aber wir Kilgours bleiben platt wie Pfannkuchen liegen.«
Sten lachte leise, und Alex beorderte Vosberh und Ffillips mit einem Flüsterton in sein Kehlkopfmikro herbei.
Die beiden krochen professionell wie Krabben durch den Schnee heran, bis jeder an einer Seite neben Alex stand.
Sten gab ihnen letzte Anweisungen. Er war mehr als erleichtert, dass sie nicht einmal mit der Wimper zuckten, als sie den Aufstieg erblickten, der sie erwartete. Nur Ffillips sprach einen Bonus an, doch Sten brachte sie sogleich wieder zum Schweigen.
»Ich will sie dort erwischen, wo es ihnen richtig weh tut«, rief er ihnen noch einmal ins Gedächtnis. »Die Kapelle. Ein legitimes Ziel. Fackelt sie ab. Schmelzt sie zusammen.
Ffillips? Ihre Gruppe ist für die Kapelle verantwortlich.
Vosberh übernimmt die Unterkünfte. Sie müssten zur Zeit leer sein. Pustet sie zur Abwechslung mal zur Hölle.
Wenn euch ein Offizier – ein Ausbilder – begegnet, dann tötet
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