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Kreuzigers Tod

Kreuzigers Tod

Titel: Kreuzigers Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Oberdorfer
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erreicht, ging sie in einer schön fließenden Bewegung zu Boden, legte sich auf den Rücken, bog das Rückgrat durch, dass ihre Magengrube weit einsackte, die Rippen zutage traten, und begann, sich mit gespreizten Beinen zu befriedigen. Der Oberkörper war so weit angehoben, dass ich ihr Gesicht nicht sehen konnte, es schien rückwärts zu Mannlechner gewandt - und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich durchschaute den Schwindel dieser Nachtklub-Vorführung: Mannlechner flüsterte ihr etwas zu. Hier handelte es sich um ein Ablenkungsmanöver oder schlimmer noch: um eine Falle! Meine Erregung verwandelte sich in finstere Wut, schließlich lachte ich laut.
    »Mannlechner«, rief ich, »du verwechselst mich mit Falkenbarth.«
    Kaya sprang auf wie eine Schauspielerin am Ende einer Vorstellung und lief schamhaft hinaus. Mannlechner verlor sich in einem Anfall aus Husten, Spucken und Erbrechen. Da mir schien, dass von ihm keine Gefahr mehr drohte, drehte ich mich um, streckte den Arm aus und entblößte, um Mannlechner den Rest zu geben, das große Bild auf der Staffelei. Zunächst aber schien das Bild mir den Rest geben zu wollen, denn es wurdegar kein Bild sichtbar, zumindest keines, das bequem anzuschauen gewesen wäre. Die Leinwand war fast weiß. Mannlechner hatte gerade erst mit der Arbeit begonnen. Über die weiße Grundierung war lediglich ein Netz von Vorzeichnungen gelegt, das wie eine Geheimschrift aussah, in der der Maler noch mit sich selbst sprach und beratschlagte. Dazu kam, dass diese Skizzen von wild aufgetragenen Farbspritzern zum Teil verdeckt wurden. Und doch war der Schritt in die Eindeutigkeit eines bestimmten Bildes an manchen Stellen schon getan, insbesondere in der Bildmitte. Dort sah man in Öl ausgeführt jenes Bildelement, das die gesamte Fläche beherrschen würde: Kreuzigers Kopf, in dem eine schwere Axt steckte, die dort gerade erst hineingetrieben worden war. Auf dem Gesicht des Sterbenden machte sich ein beinah bohemienhaft blasiertes Staunen darüber breit, dass der komplizierte und ungeheuerliche Zirkus eines ganzen Lebens aufgeführt worden war, um es so, so! und nicht anders enden zu lassen. Ja - man hatte das Gefühl, dass Kreuziger in einem allerersten Moment animalisch über die Spaltung seines Schädels erschrak, um sein Ende im nächsten Augenblick bereits hinzunehmen; mit einem interessierten, aber nicht wirklich beteiligten Aufmerken, als sei es gar nicht er, der stürbe, sondern ein anderer. Hieß das, dass einer wie Franz Kreuziger, der im Leben kaum je er selbst geworden war, auch nicht als er selbst starb, sondern wie ein anderer? Erstaunlich war, dass Franz Kreuziger gar nicht wissen zu wollen schien, wer sein Mörder war. Aus seiner Sicht spielte es keine Rolle, das Gesetz der Neugier schien für ihn nicht mehr zu gelten. Das machte ihn beinah zu einem Glücklichen, Erlösten, wennauch der Schmerz in seinem Gesicht sich von diesem Glück nicht trennen ließ. Mich zog das Gesicht Kreuzigers und dessen Ausdruck in seiner schillernden Vielschichtigkeit so in seinen Bann, dass ich lange nicht auf das achtete, was mich hier eigentlich anging: die Darstellung des Mörders. Auf diesen Mörder verwies die Axt, deren Stiel im Leeren, Weißen endete. Nachdem die Augen angesichts des voll ausgeführten Kopfes sich an das Bedientwerden und passive Schauen gewöhnt hatten, war es nicht leicht, zu dem Entziffern überzugehen, das der nur skizzierte Teil des Bildes notwendig machte. Als wäre Kreuzigers Schädel erst in diesem Augenblick zerplatzt, verteilten sich expressiv in alle Richtungen wegspritzende Blutstropfen auf der Leinwand, die Mannlechner wild und dunkelrot hingeworfen hatte. Dabei schien er einer ekstatischen Eingebung gefolgt zu sein, die vielleicht auch mit Wut zu tun hatte. Möglicherweise war er mit dem Entwurf nicht zufrieden gewesen, denn er hatte das Blut überreichlich und wie ein heidnischer Priester verspritzt, sodass es nicht vorstellbar war, dass ein Bildhintergrund gegen so viel Blut je ernsthaft zur Geltung kommen könnte. Wenn man sich die Tropfen genauer ansah, so schienen sie teilweise zum Bild zu gehören und von Kreuzigers Kopf weg- zuspritzen und teilweise berserkerhaft von außen ohne darstellende Funktion über das Gemälde gespritzt zu sein, wie um es durchzustreichen und auszulöschen. Sonderbar. Diese Unterscheidung der Tropfen war allerdings erst möglich geworden, als ich ein paar Schritte von dem Bild weggetan hatte, und diese Schritte

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