Kreuzstein
sich um.
Kronberg kam bis zur Hälfte der steileren Strecke. Als sie es Allenstein nachmachte und nach einem längeren Zweig eines Ginsterbusches griff, rutschte sie bei der Gewichtsverlagerung auf das rechte Bein nach innen weg. Sie drehte eine fast elegante Pirouette, allerdings mit Aufsetzer, und dann ging es auf dem Hinterteil mindestens vier Meter in die Tiefe. Ein langgezogenes »Neiiin« begleitete den Vorgang. Die Resonanz der Zuschauer unten am Hang reichte von Entsetzen bis hin zu Lachkrämpfen.
Wütend rappelte sich die Kommissarin aus dem Dreck auf. »Verfluchter Mist«, raunzte sie Allenstein an, der vorsichtig zurückgerutscht kam. »Ich hasse das, ich bin Großstadtkommissarin und kein Waldläufer.«
»Ist Ihnen etwas passiert?«
»Ja, ich habe einen großen Respektsverlust erlitten.« Sie deutete auf die grinsende Mannschaft unter ihnen.
»Sollen wir abbrechen?«
»Nein, natürlich nicht. Sie helfen mir.« Sie machte eine kurze Pause. »Bitte!«
»Und wie?«
»Sie gehen hinter mir, und wenn es sein muss, schieben Sie. Ach, und geben Sie mir bitte Ihren Hammer.«
Ohne Gegenwehr, fast reflexartig übergab Allenstein sein Heiligtum an die Kommissarin. Als sie sich bergauf drehte, musterte er stirnrunzelnd ihr verschlammtes Hinterteil. »Na, dann mal los!«
Gemeinsam hatten sie weniger Probleme mit dem Aufstieg. An den meisten Stellen reichte es, dass Allenstein einfach ihre Schuhe fest in den Matsch drückte. Lediglich an der steilsten Stelle wurde es kritisch.
»Nun schieben Sie schon«, fuhr ihn die Kronberg verzweifelt an, als sie wieder drohte, den Halt zu verlieren.
Beherzt drückte Allenstein seine Hände in den mit Schlamm tapezierten Hosenboden. Kurze Zeit später war es geschafft.
Keuchend standen sie an der frischen Abbruchkante des Steinbruchs und versuchten den gröbsten Dreck mit Schnee von den Händen zu waschen. Allenstein spürte eine beginnende Erkältung und war ungewohnt kurzatmig.
»Dieser Höhenunterschied ist doch immer wieder beeindruckend«, keuchte Gabriele Kronberg, immer noch außer Atem.
»Waren Sie denn schon einmal hier?«, fragte Allenstein ungläubig.
»Das ist ja das Verrückte. Es ist erst ein halbes Jahr her, im Frühjahr bei ähnlichem Wetter. Aber irgendwie sind wir von der anderen Seite gekommen.«
Sie schaute sich suchend um.
»Dort, die Wand zur anderen Seite nach hinten. Oberhalb vom älteren Abbau. Ein junges Mädchen. Selbstmord.«
Allenstein sah sie ungläubig an: »Hier?«
»Ja, aber das ist eine andere Geschichte. Schauen wir uns erst einmal das hier an.« Kronberg deutete auf die Massen vor ihnen, die frisch in den Steinbruch gestürzt waren.
»Da ist einiges abgegangen. Das tiefe Abbauloch des Bruchs ist vollständig aufgefüllt und noch weit darüber hinaus«, stellte Allenstein fest.
»Was haben Sie?«
Allenstein hatte sich plötzlich auf das Ohr geklopft und deckte es jetzt mit der Hand zu.
»Ich habe wohl zu viel kalten Wind beim Aufstieg abbekommen, und dann noch der erhöhte Innendruck durch die Anstrengung, kein Wunder, dass es jetzt pfeift.«
»Tinnitus, das kenne ich. So, jetzt erzählen Sie mal.«
»Es ist eine Terz.«
»Wie, eine Terz?« Kronberg blickte ihn verwirrt an.
»Ja, eine Terz, eine kleine Terz. Ich höre zwei Töne, ein hohes ›C‹ und ein ›Es‹.«
»Unsinn!«, herrschte sie ihn kopfschüttelnd an. »Ich will etwas über den Steinbruch wissen. Was war hier los?«
Verlegen kratzte Allenstein sich am Kopf.
»Ach so. Also: Der Steinbruch ist vermutlich seit mehr als vierzig Jahren stillgelegt.«
»Woran sehen Sie das?«
»Das ist ein Erfahrungswert, wenn ich mir den Bewuchs hier rundherum ansehe. Aber das kann man noch genauer erfragen. Jedenfalls steht hier seit dieser Zeit eine vielleicht achtzig bis hundert Meter hohe senkrechte Wand direkt vor dem tiefen Loch des Steinbruchs. Diese Wand ist kein Stahlbeton aus einem Guss, sondern die Füllung eines ehemaligen Vulkanschlotes, der stark mit Klüften durchzogen ist. Hinzu kommen Störungen, also Bruchflächen, die durch Setzungen oder Verschiebungen bei Erdbeben entstehen und bis in große Tiefe reichen.«
»Woher wissen Sie das?«
»Das Gestein ist ein Basalt, das heißt, er ist hier als flüssige Gesteinsschmelze von unten aus dem Erdmantel aufgestiegen, hat einen Vulkan aufgebaut und steckt jetzt als erkalteter Rest in den Sandsteinen des Schiefergebirges. Das ist sozusagen der tiefere Anschnitt des Vulkans. Alles, was darüber war, ist durch
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