Kreuzstein
klar wie selten in dieser Region. Dunkle Wolkenpakete ließen am Horizont von Westen einzelne Sonnenstrahlen des Abendrots durch. Sie beleuchteten die Kuppen der schneebedeckten Vulkanreste und tauchten das gesamte Siebengebirge in ein surreales Farbenspiel. Dazwischen lagen die schwarzen Steilwände der Basalte wie eine künstliche Mauer aus unzähligen Säulen. Sie hatten dem Angriff des Rheins an vielen Stellen standgehalten.
Unwillkürlich kam Allenstein der zweite Satz von Beethovens 7. Symphonie in den Sinn. Die Musik betonte die Landschaft und den Wechsel von Licht und Schatten, als säße er in einem Film. Wie mochte Beethoven in seiner Zeit diese Landschaft gesehen haben?
Kronberg zeigte nach rechts, dorthin, wo die Hundertschaft der Polizei den Hang erstieg.
»Bleiben Sie in sicherer Entfernung, falls etwas passiert!«, rief sie in das Mikrofon an ihrem Kopfhörer. Der Pilot flog eine große Schleife und positionierte sich direkt über dem Rhein mit Blick auf den Hang.
Die wenigen Meter vom östlichen Ufer bis zur Steilwand des unteren Drachenfels waren mit Schutt aus dem Verwitterungsprozess und den Steinbrüchen zu einem steilen Hang aufgefüllt. Die Winzer nutzten diese besondere Lage für ihren Weinanbau, eine der nördlichsten Lagen im Rheintal. Der Hang war zur Bearbeitung mit hangparallelen Wirtschaftswegen ausgebaut, von denen der oberste Weg die Begrenzung zum natürlichen Busch- und Baumbewuchs bildete. Am nördlichen Ende reichte er bis direkt an die Felswand heran. Auf diesem Weg bewegte sich jetzt eine lange Schlange dunkelgrüner Personen auf weißem Grund. Vorweg mit einigem Abstand war aus dem Hubschrauber ein Hundeführer mit einem Schäferhund zu erkennen.
»Wie sind Sie eigentlich auf den Drachenfels gekommen?«, brüllte Weller ins Mikrofon.
Kronberg zeigte nach unten. »Ich habe einen Stein von hier im Steinbruch von Oberkirchen gefunden.«
»Was? Und deswegen dieser ganze Einsatz?« Weller drehte sich nach hinten und starrte sie an, als ob er an ihrem Verstand zweifelte.
»Henno, äh, Allenstein hat einen Stein von Oberkirchen im Steinbruch bei Bad Honnef, oben auf der Kante, gefunden.«
Das beeindruckte Weller überhaupt nicht. »Na, dann wünsche ich Ihnen nur, dass die da unten …«. Er schaute aus dem Seitenfenster und stockte. Man konnte deutlich sehen, dass der Hund an der Leine hochstieg und anschlug. Wild fuchtelnd bedeutete der Hundeführer der Mannschaft, zurückzubleiben. Mit einem Fernglas suchte er das Gebüsch vor dem Steilhang ab.
Kronberg schaltete das Funkgerät ein. »Kronberg hier, was gibt es?«
»Der Hund hat etwas geortet. Es könnte eine Sprengfalle sein, die dort oben an einem Baum befestigt ist«, kam es knarzend zurück.
»Was wollen Sie machen?«
»Es ist nicht abzuschätzen, wie sie gezündet wird. Der Schnee verhindert jede Beurteilung. Moment mal.«
Er riss das Fernglas wieder nach oben und fokussierte auf einen Baum. Auf einmal sah er, dass an dem kleinen Paket etwas anfing zu blinken.
»Alarm, alle zurück«, brüllte er so laut er konnte und rannte mit seinem Hund auf die Suchmannschaft zu. Zehn Sekunden später blitzte es kugelförmig an drei Stellen im Wald auf, dann kam der Knall, der sogar im Hubschrauber zu hören war. Die komplette Suchmannschaft hatte sich reflexartig am Wegrand in den Schnee geworfen.
Weller war blass geworden. Auch Kronberg und Allenstein steckte der Schreck sichtbar in den Gliedern. »Ziehen Sie alle Mann zurück, schnell«, brüllte die Kommissarin in das Funkgerät, »das war vielleicht noch nicht alles.«
Im Sprint rannten die grün gekleideten Gestalten zu ihrem Ausgangspunkt zurück und verschanzten sich hinter einem Erdwall.
»Das sollte eine Warnung sein, davon bin ich überzeugt.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Weller.
»Der Täter will vielleicht gar nicht so viele Tote, sondern es geht ihm hauptsächlich um Aufmerksamkeit, sonst hätte er doch nicht so kleine Knallbonbons gezündet, das war doch nichts.«
»Ja, aber in den anderen Brüchen! Da gab es doch Tote«, wandte Weller ein.
»Das mit den Toten in Bad Honnef kann auch Zufall gewesen sein. Vielleicht haben sie die Flutwelle unterschätzt. Und in Oberkirchen habe ich das Gefühl, dass die Kollegen noch etwas anderes herausfinden werden.«
»Ich finde das alles überhaupt nicht stichhaltig«, regte sich Weller auf. »Wie soll denn so ein Berg gesprengt werden? Völlig unvorstellbar bei den vielen Leuten, die jeden Tag dort herumlaufen.
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