Kreuzzug der Templer
ändern. Er war mit dem Grauen konfrontiert worden, und das nicht erklärbare Grauen war plötzlich keine Bedrohung mehr – was sich allerdings sehr schnell ändern konnte, wenn die Reiter ihr wahres Gesicht zeigten.
Die Gestalt schritt weiterhin auf sie zu. Sie war hoch gewachsen. Von ihrem Gesicht war nicht viel zu sehen, weil die Kapuze zu tief herabgezogen war und fast die Hälfte verdeckte. Hinzu kam die Dunkelheit.
»Blieb du hier stehen, Sophie!«, bat Godwin.
»Und was hast du vor?«
»Ich gehe ihm entgegen.«
»Warum?«, fragte sie.
»Weil ich davon überzeugt bin, dass er nur mich meint. Deshalb. Bitte, misch dich nicht ein.«
»Wie du willst.«
Godwin lächelte seiner Frau noch mal zu. Er hatte ihr nicht alles gesagt. In seinem Innern war plötzlich der Drang entstanden, diese Gestalt begrüßen zu müssen. Eine Ahnung hatte von ihm Besitz ergriffen. Er stand dicht davor, etwas Bestimmtes zu entdecken, und die innere Stimme trieb ihn voran. Er verweigerte ihr nicht den Gehorsam. Hier musste etwas Bestimmtes getan werden, und ein Zurück gab es für ihn nicht.
Beide blieben stehen, als hätten sie ein Zeichen bekommen. Sie bewegten sich nicht. Sie schauten sich an, und die Gestalt hatte den Rand der Kapuze dabei etwas in die Höhe geschoben.
Jetzt griff sie wieder hin, um ihr Gesicht freizulegen. Sie tat es mit einer weiterhin langsamen Bewegung, wie um die Spannung zu erhöhen.
Godwin spürte das innerliche Zittern. Schweiß stand ihm plötzlich auf der Stirn und klebte ebenfalls an seinem Hals. Er wusste, dass ein wichtiger Augenblick in seinem Leben bevorstand.
Plötzlich ging alles sehr schnell.
Die Kapuze wurde nach hinten geschleudert. Der Kopf lag frei und damit natürlich auch das Gesicht. Godwin wusste nicht, ob er staunen oder schreien sollte.
Er kannte die Gestalt. Er kannte sie aus der Zeit, als er ebenfalls in seinem ersten Leben an einem Kreuzzug teilgenommen hatte.
Es war Alain Giradot, ein menschlicher Teufel und Massenmörder!
***
Obwohl Godwin ihn erkannt hatte, drang kein Wort aus seinem Mund. Die Lippen blieben geschlossen, und er atmete nur scharf durch die Nase. Durch seinen Kopf brausten die Gedanken wie ein Sturmwind. Er musste daran denken, dass es mal eine Zeit gegeben hatte, an der sie Seite an Seite geritten waren, um das Christentum zu verteidigen und das Heilige Land von den Ungläubigen zu befreien.
Auch wenn es sich zu früheren Zeiten anders angehört hatte, inzwischen wusste man, dass die Kreuzritter und der sie begleitendes Tross nicht unbedingt mit hehren Zielen ins Heilige Land gezogen waren. Viele von ihnen hatten ganz andere Gründe gehabt, und auf der langen Reise hatten sie eine Spur der Verwüstung hinterlassen, um ihre perversen Neigungen auszuleben.
Es war mit einem Vulkan zu vergleichen, als in Godwin die Erinnerung hochbrach. Es hieß, dass die Kreuzritter in Jerusalem kniehoch im Blut der Getöteten gewandelt waren. Das war keine Lüge, denn sie hatten keine Gnade gekannt. Ob Kinder, Frauen oder Männer – kein Mensch war vor ihnen sicher gewesen.
Godwin hatte auch getötet. So ehrlich war er sich selbst gegenüber. Aber er war immer darauf Bedacht gewesen, einen gewissen Anstand zu bewahren, und daran hatte er sich auch gehalten. Wenn er tötete, dann nicht nur aus purer Lust, sondern zumeist, um sein Leben zu verteidigen. Andere hatten das nicht getan.
Besonders nicht die Gruppe um Alain Giradot. Er und seine Templer, die den Namen nicht verdienten, waren in Häuser und Wohnungen eingefallen und hatten nur gemordet und geplündert.
Wieder kam Godwin eine Szene in den Sinn. Schwangeren Müttern hatte Alain Giradot die Kinder aus dem Lieb geholt und sie aufgespießt. Er war damit herumgeritten, eine Beute des Bösen, und Godwin hatte auch nicht den Spruch dieser perversen Mörder vergessen.
»Der Teufel will es so!«, hatten sie gerufen. »Alle Macht dem Teufel!«
Damals hatte er zu viel um die Ohren gehabt. Er konnte sich nicht näher um diese Sprüche kümmern. Später hatte er es in einem anderen Licht gesehen. Da hatte er die Mörderclique zur Verantwortung ziehen wollen, aber sie hatten sich selbst der Gerechtigkeit entzogen.
Auf seiner Burg hatten Godwin und einige Getreue eine Nachricht gefunden. Geschrieben mit Blut, das auch an den Wänden und auf dem Boden verteilt war.
»Wir sind in der Hölle, aber nicht für immer...«
»Nicht für immer«, flüsterte Godwin vor sich hin. Wie Recht dieser Hundesohn doch gehabt hatte. Er
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