Kreuzzug gegen den Gral
Obstgarten, in dessen Bäumen die Vöglein sangen, traf ich kürzlich, auf einem Teppich von Gras und weißen Blumen sitzend, eine edle Dame, die Tochter eines Schloßherrn. Ich dachte, sie sei hierhergekommen, um sich an dem Lenz, dem grünen Laub und dem Gesang der Vögel zu erfreuen. Aber dem war nicht so.
Sie begann aus tiefstem Herzen zu weinen: >Jesus<, klagte sie, Euretwegen erdulde ich eine so große Pein. Weshalb wollt Ihr nur, daß die
Tapfersten dieser Welt übers Meer fahren und Euch dienen! Mein Freund, mein schöner, edler und mutiger Freund ist fortgezogen. Und ich bin nun allein mit meinem Verlangen nach ihm, mit meinen Tränen und meinem Kummer. <
Als ich die Dame so klagen hörte, ging ich längs des klaren Baches zu ihr hin. >Schöne Dame<, sagte ich, >Tränen schaden der Schönheit. Ihr solltet nicht verzweifeln. Gott, der die Bäume grünen läßt, vermag auch Euch die Freude zurückzugeben. <
>Seigneur<, sagte sie, >ich glaube wohl, daß Gott eines Tages im anderen Leben mir, wie so vielen anderen Sündern, gnädig sein wird. Aber weshalb nim mt er in diesem Leben mir den weg, der meine Freude war und der jetzt fern von mir ist<.« (Troubadour Marcabrus.) 22 Dem Reimer Peyrol fiel es besonders schwer, sich von seiner weinenden und vorwurfsvollen Donna Sail von Claustra loszureißen:
»Als Amor sah, daß mein Herz nicht mehr an ihn dachte, machte er mir Vorwürfe. Ihr werdet sehen welche: >Freund Peyrol, das ist nicht schön von Euch, mich im Stiche zu lassen! Wenn Eure Gedanken nicht mehr mir allein gehören, und wenn Ihr nicht mehr singt, wozu seid Ihr dann noch nütze?<
- Amor, ich habe Euch so lange gedient, und nun habt Ihr kein Erbarmen mit mir. Ihr wißt wohl, wie wenig Gutes (wieder: ben) Ihr mir zuteil werden ließet. <
- Aber, Peyrol, habt Ihr denn die schöne und edle Dame vergessen, die Euch auf meinen Befehl so gnädig und mit so viel Minne aufnahm? Niemand hätte Euch ein so leichtsinniges Herz nach Euren Liedern zugetraut. So froh und verliebt schient Ihr!<
- Amor, ich habe meine Dame vom ersten Tag an geliebt und liebe sie noch. Aber die Zeit ist gekommen, daß mancher Mann, der - gäbe es keinen Saladin - froh wäre, bei seiner Dame bleiben zu können, sie nun doch mit Tränen verlassen muß.<
~ Peyrol, Eure Teilnahme am Kreuzzug wird die Stadt Davids auch nicht von der Türken- und Araberherrschaft befreien können. Hört meinen gut gemeinten Rat an: liebt, dichtet und laßt den Kreuzzug Kreuzzug sein. Seht Euch doch die Könige an, die stattdessen sich gegenseitig bekriegen und nehmt Euch ein Beispiel an den Baronen, die nicht genug
Vorwände für Fehden finden können, um ja nicht das Kreuz nehmen zu müssen. <
- Amor, ich habe Euch immer treu gedient. Das wißt Ihr selbst. Aber heute sehe ich mich gezwungen, Euch den Gehorsam zu verweigern. Der Kreuzzug zögerte schon zu sehr und sollte längst dem frommen Marquis von Montferrat zu Hilfe gekommen sein.«
Dieser »Marquis von Montferrat« war Fürst Konrad von Tyrus. Von Saladin bedrängt, rief er das Abendland um Hilfe herbei. Bertran de Born antwortete ihm folgendermaßen:
»Herr Konrad, haltet Euch an Gottes Schutz! Ich wäre längst bei Euch dort unten, hätte das Zaudern der Grafen, Fürsten und Könige mich nicht veranlaßt, es genau so zu halten. Seit ich auch noch meine Dame, meine schöne blonde Dame, wiedergesehen habe, ist mir alle Lust vergangen, zu Euch zu ziehen!«
Bertran de Born, anfangs einer der begeisterten Kreuzzugsdichter, blieb zu Hause, liebte, dichtete und wetterte weiter:
»Möge es Gott gefallen, den Philipp von Frankreich samt dem Richard von England in die Hände Saladins zu spielen!«
Am liebsten wäre ihm gewesen, der König von Aragon hätte auch das Kreuz genommen und alle drei wären nie mehr zurückgekommen. Friedrich Barbarossa verließ als erster mit seinen Deutschen die Heimat. Er hatte unterwegs den Widerstand des argwöhnischen griechischen Kaisers Isaak Angelos zu bekämpfen, den erst die Einnahme Adrianopels veranlaßte, freien Durchzug und die Überfahrt nach Kleinasien zu gestatten. Ein Jahr später schifften sich Philipp Augustus in Genua und Richard Löwenherz in Marseille ein. Als Treffpunkt der beiden Flotten hatte man Messina vereinbart, wo man den Frühling abzuwarten gedachte.
Um diese Zeit lebte auf Sizilien ein berühmter Eremit namens Joachim von Flora, dem man Prophetengabe 23 nachsagte. Joachim hatte nach dem Muster der Klöster Athos,
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