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Krieg der Sänger

Krieg der Sänger

Titel: Krieg der Sänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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selbst wurde an
der Schulter getroffen, aber Walthers Panzerhemd, das er am Leib trug, fing die
Klinge ab. Er begriff, dass die Beseitigung der Sturmleitern wichtiger war als
alles andere, weshalb er auf eine der Fensterbänke sprang und so lange gegen
den Holm trat, bis die Leiter samt Steiger entlang der Mauer abwärtsglitt.
    In der Zwischenzeit war ein Thüringer über die andere Leiter durchs
Fenster gelangt, beim Sprung in den Saal aber unglücklich gestürzt. Biterolf
sprang auf ihn herab, eine Hand am Heft und die andere an der Parierstange, und
trieb ihm mit seinem ganzen Gewicht den Stahl durch die Rippen. Dann griff er
sich einen Schemel am Bein, stieg damit erneut ins Fenster und schleuderte ihn
dem nächsten Kletterer entgegen. Kaum dass der Mann scheppernd auf den Wehrgang
gestürzt war, auf dem das untere Ende der Leiter stand, entfernte Biterolf auch
diese Leiter, und zwar so, dass sie nicht in den Burghof fiel, sondern auf der
anderen Seite der Burgmauer hinab in den Wald.
    Zu seinem eigenen Erstaunen hatte Biterolf die ihm zugewiesene
Aufgabe bewältigt. Sein Schlüsselbein fühlte sich an, als sei es gebrochen. Er
rannte durch den Festsaal zur anderen Fensterfront, aber um Rumolt zu helfen
kam er zu spät: Dieser hatte, weil es ihm nicht gelungen war, die Sturmleiter
seitwärts wegzuschieben, sich kurzerhand mit aller Kraft dagegengestemmt und
sich mit ihr von der Fensterbank abgedrückt. Mitsamt der Leiter war er in den
Tod gestürzt.
    Johann war durch einen Bolzen gestorben, der sich durch den Helm
in seinen Schädel gebohrt hatte. Wolfram bahrte seinen Singerknaben auf einer
Bank auf und kniete davor nieder, eine Totenklage zu sprechen. Er weinte. Als
sich Heinrich dem Betenden näherte, beobachteten ihn die anderen beklommen in
der Furcht vor einem unangemessenen Kommentar des Ofterdingers. Aber Heinrich
hielt dem Trauernden nur den Wasserkrug hin, seinen Durst zu löschen. Wolfram
lehnte ab.
    Unter diesen beiden Opfern, Rumolt und Johann, hatte man einen
weiteren Versuch vereitelt, den Saal einzunehmen. Der Tag begann zu dämmern,
und vor dem nächsten Morgen schien ein nochmaliger Angriff ausgeschlossen. Das
Feuerholz ging allmählich zur Neige, und nachdem man das ramponierte Bollwerk
im Treppenhaus abermals hatte mit Bänken und Tischen ausbessern müssen, blieben
nur wenige Möbel im Saal übrig, sie im Kamin zu verfeuern. Aber Feuer tat not,
umso mehr, als der Nachtwind kalt war und die Fenster zerschlagen, die ihm den
Einlass hätten verwehren können. Den Anfang machten die Throne des Landgrafen
und seiner Frau, die Heinrich von Ofterdingen genüsslich mit Axthieben und
Tritten zerkleinerte.
    Während die verschwitzten Kleider vor dem Kamin trockneten, saßen
die fünf im Türkensitz eine Reihe dahinter. Gegen die Kälte hatte man sich in
Tücher und Teppiche gewickelt. Der Einzige unter ihnen, den nicht fror, war
Biterolf. Offenbar hatte er in der Drachenschlucht genug gefroren für ein
Menschenleben. Die Hemden der Erschlagenen hatte man in Streifen gerissen, um
sich damit die Wunden zu verbinden. Wolframs Hemd und Hals waren schwarz vom
Harnischruß, sein Kopf grau und glatt wie ein Bachkiesel.
    Den ganzen Tag lang hatten die Verbliebenen nichts gegessen; nun
teilten sie untereinander das trockene Brot, das sie im Saal gefunden hatten,
und Agnes’ Proviant für die Flucht nach Eisenach. In seinen Taschen fand
Biterolf noch einige trockene Vogelbeeren. Dazu trank man geschmolzenen Schnee.
Unwillkürlich erinnerte man sich an die Köstlichkeiten des Festmahls, mit dem
der Landgraf sie acht Tage zuvor im gleichen Raum begrüßt hatte.
    Heinrich von Ofterdingen sehnte sich nach einem Becher Wein. »Oder,
besser noch, ein Becher Drachenblut, unverwundbar zu werden. Und ein Becher mit
dem Blut des Erlösers für die Unsterblichkeit. Und dann mitten rein in die
Thüringer.« Ofterdingen griff nach seiner Fiedel und sah zu Wolfram: »Darf
ich?«
    Wolfram nickte, worauf Ofterdingen sein Instrument stimmte und ein
Lied ohne Worte spielte. Die anderen lauschten und starrten ins Feuer. Nur
Biterolf betrachtete Agnes. Schmutzig war sie von Kopf bis Fuß, eine blutige
Wunde an der Stirn, die Haare wirr – und noch immer seltsam ruhig, als hätte
sie die gesamte Zeit außerhalb der Gefechte gestanden.
    Unvermittelt unterbrach Ofterdingen sein Lied. »Diese Schlacht um
den Palas ist doch ein anregendes Motiv«, sagte er, an niemanden ausdrücklich
gerichtet. »Eine kleine Gruppe von Gästen

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