Krieg der Sänger
Fenster, um
frische Nachtluft hereinzulassen. Einige Schneeflocken trieben in den Saal.
Die Gruppe der Sänger zerstreute sich schweigend. Wolfram blieb
zurück, um seinen Becher zu leeren.
»Meine Hochachtung, Heinrich«, sagte er, während er sich im halb
dunklen Saal umsah, der mit seinen angegessenen Speisen wirkte, als hätte man
ihn fluchtartig verlassen. »Du bist keinen halben Tag hier, und schon liegt
alles wieder in Trümmern. Du machst deinem Ruf alle Ehre.«
»Nicht übel, oder?«, entgegnete Ofterdingen und schnalzte mit der
Zunge. »Allerdings habt ihr es mir auch leicht gemacht. Dieser Schreiber ist
doch wirklich dümmer als alle fünf dummen Jungfrauen zusammen.« Ofterdingen
schenkte Wolfram unaufgefordert Wein nach. »Aber was ist mit dir, mein Lieber? Du bist es schließlich, nicht ich, von dem die schöne
Sophia zutiefst enttäuscht ist. Alle Wetter, war das eine trübsinnige Miene?
Wurmt dich das nicht? Oder ist es dir inzwischen gleich, was sie von dir denkt?
Nein, wirklich, es interessiert mich.«
Statt einer Antwort schüttete Wolfram Ofterdingen den Wein, den
dieser ihm nachgeschenkt hatte, ins Gesicht. Auf dem Weg nach draußen drückte
er einem der Bediensteten den leeren Becher in die Hand.
Heinrich von Ofterdingen trocknete sein Gesicht und seine Haare mit
einem Tischtuch. Er sammelte das getrocknete Obst aus drei halb vollen Schalen
in einer vierten, bevor auch diese abgeräumt wurden, um sie für sich und sein
Gefolge mit auf die Kammer zu nehmen. Walthers und Wolframs scharf gewürzter
Wein brannte in seinen Augen, und wenn er sie schloss, wurde es nur schlimmer.
23 . DEZEMBER
Selbst durch das Pergament aus Ziegenhaut, das vor das
Fenster in Biterolfs Kammer gespannt war, sah man, dass sich das Licht
verändert hatte. Es hatte die Nacht über geschneit und schneite noch immer; für
die Bewohner der Burg laut Dietrich untrüglich ein Zeichen für die Herrschaft
der Frau Hulde, die im Übrigen auch, so ging das Gerücht, dafür verantwortlich
sein musste, dass sechs vernünftige, friedfertige Sänger in weniger als einer
halben Stunde ohne erkennbaren Anlass sich dermaßen in die Haare gerieten, dass
am Ende einer des anderen Tod wünschte. Biterolf erwachte allmählich durch
Dietrichs Geplapper und befreite sich aus den zahllosen Fellen, die er im Halbschlaf
auf sich gehäuft hatte. Der Wein lag ihm schwer auf Kopf und Zunge. Er konnte
sich glücklich schätzen, dass der Adlatus in seine Stube gekommen war, denn
sonst hätte er die Zweikämpfe wahrscheinlich verschlafen – aber er war
unglücklich darüber, so bald an den tödlichen Sängerstreit erinnert zu werden,
zu dem er im weinseligen Überschwang seine Teilnahme erklärt hatte.
Biterolfs Hoffnung, die Idee vom Wettkampf der Sänger würde sich in
der Nüchternheit des neuen Tages als eine trunkene Angeberei entpuppen, die
nicht weiter erwähnt würde, geschweige denn ausgeführt, wurde schnell
enttäuscht, denn insbesondere der Landgraf, der das Anliegen am Vorabend noch
so missbilligt hatte, schien über Nacht Gefallen daran gefunden zu haben – als
hätte Heinrich von Ofterdingens Argument Wurzeln geschlagen, dass ein
Sängerstreit mit einem solchen Einsatz legendär wäre für den Thüringer Hof.
Reinmar hatte mit sich gehadert, ob er tatsächlich derjenige sein wollte, der
einen von ihnen zum Tode verurteilte, aber letzten Endes hatten ihm die Aufgabe
und das damit verbundene Ansehen wohl zu sehr geschmeichelt, und in die Hände
eines weniger Kundigen legen wollte er sie ausdrücklich nicht. Ein Bote war
bereits nach Eisenach geschickt worden, um den Henker zum Weihnachtstag auf die
Wartburg zu bestellen. Das Urteil sollte umgehend nach Reinmars Schiedsspruch
im Hof der Burg vollstreckt werden. Biterolf wurde übel.
»Meister Stempfels Schwert ist spektakulär«, schwärmte Dietrich.
»Vermutlich hat er damit noch mehr Hälse durchtrennt als das Hühnerweiblein von
der Wartburg.«
»Und wenn mein Hals der nächste ist?«
»Ach was! Nur Mut, du bist einer von sechsen! Stell dir vor, du
würdest beim Würfeln sitzen und nur dann verlieren, wenn du die Eins wirfst.«
»Das passiert mir ständig.«
»Was wirst du singen?«
Biterolf bewegte die Lippen, aber keine Antwort kam heraus. Er nahm
einen Schluck Wasser aus dem Krug, der neben seinem Bettkasten stand.
»Darüber zerbrich dir ein anderes Mal den Kopf, denn die Zeit
drängt«, sagte Dietrich. »Ich bringe dich jetzt in die Rüstkammer, wo wir dir
einen
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