Krieg der Seelen: Roman (German Edition)
hatte vier Gliedmaßen, wirkte aber fremd, zweibeinig. Die oberen Glieder waren Arme, keine Beine. Die Haut bestand aus lebenden Pelzen, Fellen und Leder, und der Körper war eine abscheuliche Mischung aus schwitzendem Metall, gestrecktem Knorpel, schartigen Keramikzahnrädern, gebrochenen Knochen, entzündeten, eitrigen Sehnen, zerrissenem Fleisch und geplatzten Adern, aus denen stinkendes, ranziges Blut quoll. Der riesige Thron glühte schwach, weil er heiß war, und diese Hitze schuf schmierigen Rauch, der zischend und brutzelnd von den Pelzen und Fellen des Dämons aufstieg.
Das Wesen hatte einen Laternenkopf, wie eine ins Gewaltige vergrößerte Version eines vierseitigen Gaslichts aus ferner Vergangenheit. Im Innern der Laterne zeigte sich eine Art Gesicht, eine fremde Fratze aus Schmutz und qualmender Flamme. Dieses Gesicht starrte durch die rußgeschwärzten Scheiben. An jeder äußeren Ecke der Laterne stand eine Talgkerze, jede mit hundert schreienden, intakten Nervensystemen, von brennender Agonie heimgesucht. Sie sah zu dem riesigen Dämon hoch und kannte ihn, kannte all dies und konnte sich selbst mit seinen Augen sehen– oder mit welchen teuflischen, höllischen Sinnen auch immer er sah.
Sie war eine dürre, winzige Gestalt, kaum mehr als ein kleines Skelett, das Fleisch halb von den Knochen gezogen und um sie herum festgenagelt.
» Ich hatte gehofft, Hoffnung in dir zu wecken«, sagte die gewaltige Stimme. Die einzelnen Silben rollten wie Donner, der in ihren Ohren schmerzte und sie selbst dann noch klingeln ließ, wenn die Stimme verklang. » Aber du bist jenseits aller Hoffnung. Das ärgert mich.«
Plötzlich konnte sie wieder sprechen. Ihr Mund war nicht mehr zugenäht, das Loch im Hals geschlossen, die Kehle wieder offen. Sie atmete normal.
» Hoffnung?«, keuchte sie. » Es gibt keine Hoffnung!«
» Es gibt immer Hoffnung«, verkündete die hallende Stimme. Sie fühlte ihre Macht in der Lunge, spürte, wie die Worte den Boden unter ihr erzittern ließen. » Und es muss Hoffnung geben. Die Hoffnung aufzugeben bedeutet, einem Teil der Strafe zu entkommen. Man muss hoffen, damit die Hoffnung zerstört werden kann. Man muss vertrauen, damit man den Schmerz des Verrats fühlt. Man muss Sehnsucht haben, denn ohne sie spürt man nicht den Schmerz der Zurückweisung. Und man muss lieben, um zu leiden und zu verzweifeln, wenn man die geliebte Person voller Qual sieht.« Das riesige Wesen lehnte sich zurück und schuf Rauchschlangen, wie die Strömungen dunkler kontinentaler Flüsse. Die Kerzen wirkten wie aus dem Rauch aufragende brennende Bäume.
» Aber vor allem muss man hoffen«, ertönte die Stimme erneut. Jede einzelne Silbe schmetterte gegen ihren Körper und hallte in ihrem Kopf wider. » Es muss Hoffnung geben, denn wie sonst soll sie auf angemessen befriedigende Weise vernichtet werden? Die Gewissheit, dass keine Hoffnung besteht, könnte Trost spenden. Es ist die Ungewissheit, das Nichtwissen, aus dem wahre Verzweiflung wächst. Den Gepeinigten darf nicht gestattet werden, die Hoffnung zu verlassen und sich ihrem Schicksal hinzugeben. Das genügt nicht.«
» Ich bin verlassen, ich bin es ganz und gar!«, schrie sie. » Es gibt nichts als Verlassenheit für mich. Schafft euren Mythos, aber ich glaube nicht daran.«
Der Dämon richtete sich auf, und Feuer und Rauch gerieten in Bewegung. Der Boden unter ihr erbebte bei seinen Schritten, und die wenigen noch in ihrem Mund verbliebenen Zähne vibrierten. Vor ihr blieb er stehen und ragte wie eine irre Statue auf, die etwas Unsymmetrisches, Unnatürliches, Zweibeiniges darstellte. Er beugte sich über sie, und die Flammen um ihn herum reagierten darauf, loderten höher. Ein Finger, länger als ihr ganzer Körper, nahm etwas vom Boden in ihrer Nähe. Nach verfaultem, verbranntem Fleisch stinkendes Wachs tropfte von einer turmgroßen Kerze auf ihren aufgerissenen Leib und verursachte neuen Schmerz, der sie schreien ließ, bis das Wachs schließlich abkühlte und fest zu werden begann.
» Du hast dies hier nicht einmal bemerkt, oder?«, donnerte die Stimme. Der Dämon zeigte ihr die plötzlich winzig wirkende Halskette aus Stacheldraht, die sie so lange getragen hatte, wie sie sich erinnern konnte. Er rieb sie zwischen seinen körperdicken Fingern und gewann für einen Moment die vergrößerte, aber grobkörnige, pixelige Gestalt eines jener Dämonen, die Prin verkörpert hatte– so hatten zuerst auch die beiden Dämonen im Käfer-Flieger
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