Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens
Nationalstaaten leben zu können. Allerdings mussten sie befürchten, zwischen Nationalisten und Islamisten zu geraten und Opfer der Identitätskrise zu werden.
Da lag es relativ nahe, dass ein syrischer Christ namens Constantin Zureiq (1909–2000) auf die Idee kam, die nationale Identität zu erweitern, um geographische und religiöse Grenzen zu transzendieren. Und so erfand er den Panarabismus. Seine Schriften wie »Die arabische Mission« und »Nationale Philosophie« sind für arabische Nationalisten das, was die Schriften von Marx und Engels für die Kommunisten sind. Ein weiterer Vordenker der Bewegung ist Zaki Al-Arsuzi (1901–1968), ein Anhänger der alawitischen Minderheit in Syrien. Seine säkularsozialistische politische Philosophie war maßgebend für die Gründung der syrischen panarabischen Ba’ath Partei (Arabische Sozialistische Partei der Wiedererweckung), ebenfalls von einem syrischen Christen, Michel Aflaq (1910 bis 1989), mitgegründet. In dieser Partei übernahmen meistens Alawiten die Führungsrolle. Alawiten haben eine liberale Haltung zu religiösen Geboten und auch zu Frauen, ordnen sich aber dem Islam unter. Sie werden von der Mehrheit der Muslime jedoch nicht anerkannt. Viele Christen fanden in der Ba’ath-Partei ihre politische Heimat.
Bis heute regiert die Einheitspartei von Assad unangefochten in Syrien. Bald fand der Panarabismus im Irak, wo eine Filiale der Ba’ath Partei gegründet wurde, einen fruchtbaren Boden. Dort wurden die Partei und ihr Anführer Saddam Hussein erst im Jahre 2003 nach der amerikanischen Invasion gestürzt. Doch schon vor der Gründung von Al-Ba’ath war der Panarabismus in Ägypten angekommen. Die Bewegung der freien Offiziere um Gamal Abdel-Nasser war von ihm ergriffen. Der Panarabismus suchte sich, was er brauchte, in der vorislamischen Geschichte zusammen und rekonstruierte alte arabische Mythen, wie zum Beispiel die Ideen von Krieg und Ehre, um eine neue Identität zu erschaffen. Eine Zeitlang nahm man Abstand von islamischen Vornamen und kehrte zur vorislamischen arabischen Namensgebung zurück. Der Sozialist Nasser nannte seinen Sohn »Khaled«, der Alawit Assad nannte seine Söhne »Magd«, »Bassil« und »Bashar«, der Nationalist Saddam nannte seine Söhne »Udai« und »Qusai«, alles Namen von arabischen Kämpfern, die bereits vor dem Islam bekannt waren. Der gemeinsame Feind Israel war der Treibstoff im Motor des Panarabismus, und die zahlreichen Kriege mit ihm beförderten die Wiederbelebung alter arabischer Kriegsmythen. Während orientalische Juden nach der Gründung des Staates Israels fluchtartig Ägypten, den Irak und Syrien verlassen mussten, lebten Alawiten und Christen relativ sicher und hatten zumindest keine staatlichen Repressalien zu gewärtigen. Dies war der Fall etwa im Irak bis zum Sturz von Saddam. Unter dem Deckel der Diktatur wurden viele Konflikte zwischen Schiiten, Sunniten und Kurden gezügelt, die nach dem Sturz des Regimes allerdings wieder an die Oberfläche treten. Irakische Christen geraten zwischen die Fronten und haben selber weder Söldner noch eine Lobby, die für ihre Rechte kämpfen. Obwohl den Christen im Irak von den islamischen Fundamentalisten vorgeworfen wird, Unterstützer der amerikanischen Besatzungsmacht zu sein, taten die Amerikaner bislang wenig, um diese Minderheit wirklich zu schützen. Kirchen werden angezündet, Geistliche enthauptet und friedliebende Bürger nur wegen ihrer religiösen Zugehörigkeit umgebracht. Seit dem 3. Jahrhundert leben Christen im Irak, wo sich einst das Zentrum des orientalischen Christentums befand. Heute müssen viele von ihnen ihr Land verlassen, weil man ihnen deutlich vor Augen führt, dass es nicht mehr ihre Heimat ist.
Auch die syrischen Christen müssen nun fürchten, mit der herrschenden Elite der Ba’ath Partei identifiziert und von den Rebellen verfolgt zu werden. Zwar betonen viele Rebellen, dass sie Freiheit für das gesamte syrische Volk unabhängig von Religion oder Ethnie anstreben, doch andere skandieren bei den Demonstrationen »Den Alawiten den Tod, die Christen nach Beirut«. Auch in Syrien ist über die Jahre eine islamistische Szene gewachsen, die sich nun mit dem Bröckeln der Diktatur mehr und mehr ans Tageslicht wagt. Einige irakische Christen, die nach 2003 den Irak verlassen mussten, kamen nach Syrien, wo sie auf mehr Toleranz hofften. Nun müssen viele von ihnen erneut ihre Koffer packen und nach einem Ort suchen, wo der Mensch nicht nach
Weitere Kostenlose Bücher