Krieg – Wozu er gut ist
gründeten die Waffenfabrik Enfield Armory. »Es gibt nichts, was nicht maschinell hergestellt werden könnte«, erklärte Samuel Colt ihnen. 64
Wenn beide Seiten über Gewehre verfügten und damit umzugehen verstanden, wie es im Amerikanischen Bürgerkrieg der Fall war, konnten innerhalb von Minuten Tausende Männer niedergemäht werden. Der 17. September 1862, an dem annähernd 23 000 Soldaten in der Schlacht am Antietam (in den Südstaaten meist Schlacht bei Sharpsburg genannt) getötet oderverwundet wurden, ist bis heute der blutigste Tag in der Geschichte amerikanischer Streitkräfte. Aber in Afrika und Asien stießen die Europäer selten auf starkes Gegenfeuer aus Gewehren. Nachdem General Henry Havelock mit seiner kleinen britischen Kolonne 1857 in den Hinterhalt einer riesigen indischen Armee geraten war und sie vernichtet hatte, sagte er: »In zehn Minuten war die Sache entschieden.« 65 Diese Äußerung traf in der Mitte des 19. Jahrhunderts auf zahlreiche Gemetzel vom Senegal bis nach Siam zu. Waffenentwicklungen wie die (1861 patentierte) Gatling Gun, das erste schnellfeuernde Repetiergeschütz, das von Carnehan und Dravot so geliebte (1871 eingeführte) Martini-Henry-Gewehr und das (1884 patentierte) vollautomatische Maxim-Maschinengewehr sorgten für eine so große Kluft zwischen der Feuerkraft des Westens und der der restlichen Welt, dass sie nur zu überwinden war, wenn sie absolut inkompetent eingesetzt wurde, wie britische Offiziere es 1879 in der Schlacht bei Isandhlwana gegen die Zulus und Italiener 1896 in Adwa gegen die Äthiopier taten (Abbildung 4.13).
Im ausgehenden 19. Jahrhundert operierten westliche Armeen mehr oder weniger, wo sie wollten, und westliche Flotten hatten noch mehr Bewegungsfreiheit. Europäische Schiffe mussten schon seit dem 17. Jahrhundert keine ernstzunehmenden Rivalen mehr fürchten, aber die Einführung stahlgepanzerter Dampfschiffe, die Sprenggranaten abfeuerten, machte jeden Widerstand zwecklos. Als es im Amerikanischen Bürgerkrieg erstmals zu einem offenen Gefecht zwischen zwei eisengepanzerten Schiffen kam, der Monitor und der Merrimack , war das eine Sensation. *30 Bereits in den 1890er Jahren hatten Kriegsschiffe eine Wasserverdrängung von 15 000 bis 17 000 Tonnen, dampften mit 16 Knoten, waren mit 30-cm-Geschützen ausgestattet und führten Gefechte über den Horizont hinaus. Die europäischen Seemächte gaben ein Vermögen für solche Schiffe aus, die allerdings schlagartig veraltet waren, als in Großbritannien 1906 die HMS Dreadnought vom Stapel lief, ein Schlachtschiff mit Dampfturbinen, 28-cm-Panzerung und zehn 30-cm-Geschützen. Fünf Jahre später wurden die britischen Schlachtschiffe nach und nach von Kohle auf Erdöl umgestellt. Mittlerweile war die maritime Kluft zwischen dem Westen und dem Rest der Welt völlig unüberbrückbar, mit einer Ausnahme, auf die ich im 5. Kapitel näher eingehe.
In meiner Kindheit hatte meine Großmutter einen verblichenen, verbeulten Globus, der in dieser Zeit entstanden sein muss. Er faszinierte mich. In den 1960er Jahren waren britische Zeitungen voller Berichte über nationale Demütigungen, aber hier, in dieser kleinen Zeitkapsel einer untergegangenen Welt, war alles anders. Zwei Fünftel des Planeten waren rosa markiert für das British Empire. »In seinen Landen geht die Sonne niemals unter«, hatte Schottlands älteste Tageszeitung einmal gejubelt, »wenn sie im Wasser des Oberen Sees versinkt, geht sie über der Gangesmündung auf.« 66 (Abbildung 4.14)
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Abbildung 4.13Trennende Kluft
Als dieses Foto 1879 entstand, herrschte eine enorme Kluft zwischen der Feuerkraft westlicher Streitkräfte und der nichtwestlicher Armeen. Zulufürst kaMpande Dabulamanzi (Mitte) und seine Männer präsentieren auf diesem Bild ihr Sammelsurium von Flinten, Jagdgewehren und uralten Musketen. Kurze Zeit später wurde sein Angriff auf die Missionsstation Rorke’s Drift abgewehrt, obwohl seine Truppe den Verteidigern zahlenmäßig im Verhältnis 10:1 überlegen war. Nur gegen extrem unfähige westliche Offiziere hatten nichtwestliche Armeen Siegeschancen.
Insgesamt beherrschten Europäer und ihre ehemaligen Kolonisten fünf Sechstel der Welt, aber nicht einmal der Globus meiner Großmutter erfasste den vollen Umfang des europäischen Sieges in diesem Fünfhundertjährigen Krieg. Die westliche Vorherrschaft war so tiefgreifend, dass Historiker häufig die Überzeugung vertreten, die Bezeichnung
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