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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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Gewalt – zurückschrecken, um zu bekommen, was er will.
    Wenn so viele sterben mussten wie nach dem Zusammenbruch von Englands Zentralstaat, so fragte sich Hobbes, um wie viel schlimmer mussten die Zustände in prähistorischer Zeit gewesen sein, bevor der Mensch Staat und Regierung erfand? Er beantwortete die Frage im Leviathan , einem der klassischen Werke der politischen Philosophie.
    Vor der Erfindung des Staats, so Hobbes’ Folgerung, musste das Leben ein ständiger Krieg aller gegen alle gewesen sein. In einem solchen Zustand, so seine berühmte Überlegung, »gibt es keinen Platz für Fleiß, denn seine Früchte sind ungewiß, und folglich keine Kultivierung des Bodens, keine Schiffahrt oder Nutzung der Waren, die auf dem Seeweg importiert werden mögen, kein zweckdienliches Bauen, keine Werkzeuge zur Bewegung von Dingen, deren Transport viel Kraft erfordert, keine Kenntnis über das Antlitz der Erde, keine Zeitrechnung, keine Künste, keine Bildung, keine Gesellschaft und, was das allerschlimmste ist, es herrscht ständige Furcht und die Gefahr eines gewaltsamen Todes; und das Leben des Menschen ist einsam, armselig, widerwärtig, vertiert und kurz.« 9
    Hobbes’ Ansicht nach wären allenthalben Mord, Armut und Unwissenheit an der Tagesordnung, gäbe es keinen starken Staat – einen Staat, so furchteinflößend, so sein Postulat, wie Leviathan, das an Godzilla gemahnende Ungeheuer. Einen solchen Staat kann ein König alleine regieren oder ein Gremium von Entscheidungsträgern; im einen wie im anderen Fall muss der Leviathan seine Untertanen derart einschüchtern, dass sie in der Unterwerfung unter seine Gesetze gegenüber dem Rauben und Morden untereinander das kleinere Übel sehen.
    Wie aber haben die ungebärdigen Menschen es zuwege gebracht, diesen Leviathan zu schaffen und so Gewalt und Anarchie zu entfliehen? In den 1640er Jahren gab es kaum so etwas wie Anthropologie und noch weniger Archäologie, um die Diskussion zu beseelen, aber das hielt Hobbes nicht davon ab, eine feste Meinung zu vertreten. »Wilde Völker in Amerika«, so sagte er, illustrierten seine These, aber ansonsten verlor Hobbes kaum ein Wort über konkrete Beispiele. Im Großen und Ganzen war er eher an Spekulationen als an Tatsachen interessiert (selbst in seinen zahlreichen Schriften zur Physik ignorierte Hobbes weitgehend die Belege von Zeitgenossen wie Isaac Newton und Robert Boyle).
    »Diese souveräne Macht«, so argumentierte Hobbes, »wird auf zweierlei Art erlangt. Zum ersten durch natürliche Gewalt, wie wenn ein Mann seine Kinder veranlasst, sich und ihre Kinder seiner Herrschaft zu unterwerfen, da er sie vernichten kann, wenn sie sich weigern; oder wenn er durch Krieg seine Feinde seinem Willen unterwirft, indem er ihnen unter dieser Bedingung das Leben schenkt. Zum anderen, wenn die Menschen miteinander vereinbaren, sich einem Menschen oder einer Versammlung von Menschen freiwillig zu unterwerfen, im Vertrauen darauf, dass er sie gegen alle anderen beschützt. « Den gewalttätigen Weg zum Leviathan bezeichnete Hobbes als »Gemeinwesen durch Aneignung«, den friedlichen Weg als »Gemeinwesen durch Einsetzung«. 10 Welchen Weg man auch einschlage, so schloss Hobbes, was uns sicher und reich mache, das sei alleine der Staat.
    Was für helle Aufregung sorgte. Leviathan wurmte die Pariser, die Hobbes immerhin Unterschlupf gewährt hatten, derart, dass er wieder nach England fliehen musste, wo er sich von stürmischer Kritik empfangen sah. Wenn man in den 1660er Jahren eine Idee als »hobbistisch« bezeichnete, so implizierte man damit, dass ein anständiger Mensch sich mit so etwas erst gar nicht befasste. 1666 bewahrte nur die Intervention des jüngst wieder eingesetzten Königs Karl II. Hobbes vor einem Prozess wegen Ketzerei.
    Nicht genug, dass man ihn losgeworden war, machten Pariser Intellektuelle sich daran, seine deprimierenden Behauptungen zu widerlegen. Von den 1690er Jahren an verkündete ein französischer Denker nach dem anderen, dass der Engländer alles verkehrt herum sah, und 75 Jahre, nachdem Hobbes unter der Erde und damit wehrlos war, brachte der Genfer Philosoph Jean-Jacques Rousseau die Kritik an ihm auf den Punkt. Der Staat, so Rousseaus Schluss, könne die Antwort nicht sein, da der Naturzustand des Menschen ein Zustand »ohne Krieg und ohne Verbindung« sei, »ohne seines gleichen zu bedürfen, und ohne Begierde, ihnen Uebels zuzufügen«. 11 Leviathan habe nicht unseren kriegerischen Geist gezähmt,

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