Krieg – Wozu er gut ist
Schädel weisen Wunden von tödlichen Stichverletzungen auf.An den Fundorten finden sich steinerne Speerspitzen zuhauf, Schädel- und Halstraumen sogar noch mehr. Als moderne Parallele kommen Rodeoreiter den bei Neandertalern gefundenen Mustern an Knochenbrüchen am nächsten, und da es vor 100 000 Jahren keine bockenden halbwilden Pferde gegeben hat, müssen wir annehmen, dass sie sich ihre Verletzungen im Kampf zugezogen haben. Es ist sicher möglich, dass Neandertaler Gewalt nur gegen Beutetiere anwandten, da aber zu ihren Beutespektrum auch andere Neandertaler gehörten (die Belege für Gelegenheitskannibalisms sind überwältigend), lässt sich nur schwer der Versuchung widerstehen, die Neandertaler mit ihrem großen Gehirn als die gewalttätigsten Primaten aller Zeiten zu sehen. Klug, gut bewaffnet und außerordentlich stark (zwei renommierte Archäologen schreiben, in ihnen verbinde sich »die Physis eines starken Ringers mit der Ausdauer eines Marathonläufers « 8 ) hatten sie um 100 000 v. Chr. ihren Lebensraum von Zentralasien bis an den Atlantik ausgedehnt.
Aber dann kamen wir …
Zweieinhalb Pfund Magie
In Ihrem Kopf befindet sich ein kleines Stück Magie. Nichts in der gesamten Natur ist den zweieinhalb Pfund Wasser, Blut, Fett und Protein vergleichbar, die in Ihrem Schädel pulsieren, Energie fressen und vor Elektrizität förmlich knistern. Nach 400 Millionen Jahren, die es zu seiner Entwicklung gebraucht hat, unterscheidet uns dieses Gehirn heute von allen anderen Tieren auf der Erde und hat den Platz, den die Gewalt in unserem Leben einnimmt, tiefgreifend verändert.
Archäologen und Genetiker sind sich einig, dass dieses Wunder der Natur seine moderne Form irgendwann vor 200 000 bis 50 000 Jahren in Afrika erlangt hat. Es war eine Zeit, da dem urmenschlichen Zweig am Baum des Lebens mit besonderer Intensität neue Äste entsprossen, vielleicht weil ein extrem instabiles Klima die Plus- und Minuspunktebilanzen im Spiel um Leben und Tod unablässig verändert hat.
Es war eine wilde Berg- und Talfahrt. Die Temperaturen vor 200 000 Jahren lagen im Durchschnitt deutlich (im Mittel etwa 1,7 Grad Celsius) unter denen von heute, fielen dann jedoch unter vielem Auf und Ab sogar noch weiter. Vor 150 000 Jahren war die Welt 7,8 Grad kälter als heute. Kilometerdicke Gletscher bedeckten große Teile Asiens, Europas und Amerikas und banden so viel Wasser, dass der Meeresspiegel hundert Meter unter dem lag, den wir heute gewöhnt sind. Niemand konnte auf den Gletschern leben, und die weiten dürren Steppen zu Füßen ihrer Ausläufer, über die Winde heulten und Sandstürme tobten, waren nicht viel einladender. Selbst in Äquatornähe waren die Sommer kurz, das Wasser war knapp, und das Pflanzenwachstum wurde durch den geringen Kohlenstoffdioxidgehalt der Atmosphäre gebremst.
In diesen Jahren wandelten erstmals Menschen auf der Erde, die ziemlich genau aussahen wie wir: hochgewölbte Schädel, flache Gesichter und kleine Zähne. Fossile Funde und DNA-Analysen stimmen darin überein, und sie lassen vermuten, dass sich die ersten modernen Menschen vor 200 000 bis 150 000 Jahren in Ostafrika entwickelt haben. Kurios an diesen ältesten Funden ist allerdings eines: Sie zeigen uns zwar, dass diese Primaten Steinwerkzeuge meißelten, jagten und sammelten, kämpften und sich paarten, dass aber ihr archäologisches Erbe sich kaum von dem unterscheidet, was wir von Neandertaler- und anderen Frühmenschenfunden kennen. Warum das so ist, wird heiß diskutiert. Aber erst nachdem sich die Welt ein paar Jahrtausende hindurch erwärmt hatte und dann in eine neue Eiszeit geschlittert war, fingen die Menschen an, so auszusehen und so zu agieren wie wir.
Funde, die 100 000 bis 70 000 Jahre alt sind, zeigen seltsame Dinge. Die Menschen schmückten sich – so etwas hatten ihre urmenschlichen Vorfahren nicht getan. Sie sammelten Eierschalen und brachten Stunden damit zu, kleine Scheiben daraus zu schnitzen und zu schleifen. Mit einem angespitzten Knochen bohrten sie in die Mitte jedes Scheibchens ein Loch und fädelten Hunderte davon zu Halsketten auf. Sie tauschten diese Schmuckstücke miteinander, manchmal legten die getauschten Objekte viele hundert Kilometer zurück. Die Urmenschen hatten begonnen, sehr viel weniger Ur- und sehr viel mehr Mensch zu werden. Sie sammelten Ocker – eisenhaltige Erdfarben – und zauberten damit kühne rote Linien auf Höhlenwände und vermutlich auch
Weitere Kostenlose Bücher