Krieg – Wozu er gut ist
den Rücken gestärkt, die Waffenlieferungen nach Taiwan erhöht und dergleichen mehr« getan haben, und fuhr fort: »Sie haben Außenposten installiert und üben von Osten, Süden und Westen Druck aus.« 38 Für manche chinesischen Generäle sieht es so aus, als sporne die unbarmherzige Logik des Todesspiels die Vereinigten Staaten dazu an, ihre Militärmacht auszunutzen, solange sie es noch können, um ihren aufstrebenden Rivalen mit einem Präventivschlag klein zu halten und eine weitere Generation als Globocop zu erstreiten.
Das aber ist sicher das am wenigsten wahrscheinliche Zukunftsszenario von allen. Weltpolizisten zahlen genau wie richtige Polizisten einen hohen Preis für die brutale Unterwerfung von Unschuldigen. Demokratische Weltpolizisten zahlen sogar einen noch höheren Preis, und wenn das anvisierte Opfer auch noch der Banker des Weltpolizisten ist – so wie im Falle Chinas und der Vereinigten Staaten –, wird es zu einer grauenhaft schlechten Idee, diesen zu verprügeln. Die Pax Americana ist wie die Pax Britannica vor ihr genauso sehr ein diplomatischer und finanzieller Balanceakt, wie sie ein militärischer ist, und der Sieg in einem Präventivkrieg würde den Amerikanern genauso schaden wie den Chinesen.
Wenn jemand aus einem solchen Krieg Gewinn zieht, dann wäre das vermutlich Russland, die vierte Region, über die sich die Verfasser des Verteidigungsleitfadens von 1992 Gedanken gemacht haben. Ein Jahrzehnt hindurch schien die Furcht vor russischem Revanchismus fehl am Platze, weil das Land in einen wirtschaftlichen Abgrund gestürzt war. Die Wirtschaftsleistung hatte in den 1990er Jahren um vierzig Prozent abgenommen, die Reallöhne waren um 45 Prozent gesunken. Die Regierung stolperte 1998 über ihre Schulden, und der Lebensstandard erlebte einen derart rasanten Abstieg, dass die Menschen in Russland im Jahr 2000 im Durchschnitt jünger starben als ihre Großeltern. Russland verfügte zwar noch immer über das größte Kernwaffenarsenal der Welt, aber es war noch nicht einmal klar, ob die Raketen überhaupt noch funktionstüchtig waren, und gegen tschetschenische Islamisten machten seine Soldaten alles andere als eine gute Figur.
Doch seit den 1990er Jahren hat sich eine Menge geändert. Durch Öl- und Gasexporte hat sich das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf zwischen 2000 und 2012 verdoppelt. Der Kreml hat eine 600 Milliarden Dollar schwere Modernisierung seiner U-Boote und Geschosse angekündigt und ist dabei, aus den Ruinen der alten Roten Armee eine kleinere, wendigere Interventionstruppe zu schneidern. Russland ist und bleibt weit weniger bedrohlich als die Sowjetunion und wird womöglich noch weniger bedrohlich, wenn, wie die Weltbank mutmaßt, seine Ölvorkommen nach 2015 weniger ergiebigwerden. Dennoch wäre eine amerikanische Aggression, die China Russland in die Arme triebe, für den Weltpolizisten das schlimmste aller möglichen Szenarien: Eine russisch-chinesische Achse, die das eurasische Kernland kontrolliert und dazu einen großen Streifen der Länder der inneren Zone – das wäre Mackinders Albtraum.
Einige Jahre hindurch haben Russland und China lose kooperiert, um amerikanische Pläne in Syrien, Pakistan, Nordkorea und im Iran auszuhebeln, aber die Differenzen zwischen den beiden Ländern – über russische Waffenlieferungen an Vietnam und Indien, den chinesischen Zugriff auf russisches Öl und Gas und die Konkurrenz um Ressourcen im rohstoffreichen Kasachstan und in der Mongolei – haben bislang tiefergehende Annäherungen verhindert. Ein Sieg über China auf dem Schlachtfeld würde den Vereinigten Staaten keineswegs eine erneute Stärkung seiner Position als Globocop eintragen, sondern es weit über den Kulminationspunkt der eigenen Strategie hinaus katapultieren und Peking keine andere Möglichkeit mehr lassen, als sich Moskau zuzuwenden, und damit genau das strategische Desaster heraufbeschwören, das eigentlich hätte verhindert werden sollen.
Die Schlussfolgerung, die auf der Hand liegt, lautet demnach, dass allem Säbelrasseln und allen politischen Wendemanövern seit 2009 zum Trotz die Kosten für den Einsatz von Gewalt für alle Beteiligten unbotmäßig hoch sind und der Lohn genauso verboten gering ist. Es ist schwer vorstellbar, dass jemand in den kommenden Jahren bis 2020 einen Großmachtkrieg in Ostasien anfängt – genauso schwer wie 1870 in Europa, als der britische Weltpolizist erste Anzeichen dafür zeigte, dass ihm die Dinge aus der Hand glitten. Es
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