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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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allemal eine Scheu davor, gegen eine standhaltende Infanterie anzurennen. Der Vorteil von Streitwagen war nicht ihre Masse, sondern ihr Tempo (Abbildung 2.7). Leichte Streitwagen, mit zwei oder drei bewaffneten Männern (einem Lenker, einem Bogenschützen und manchmal einem Schildträger) besetzt, konnten träges Fußvolk in Pfeilfutter verwandeln. Der Pfeilregen war zuweilen so dicht, dass es in dem antiken indischen Epos Mahabharata heißt: »Die Sonne selbst verschwand hinter dicken Wolken aus fliegenden Pfeilen.« 25
    Steinerne Pfeilspitzen aus südafrikanischen Höhlen zeigen, dass der Mensch seit über 60   000 Jahren den Bogen benutzt. Aber soweit wir das sagen können, kamen Bogenschützen bis fast 2000 v.   Chr. mit dem »Primitivbogen«, einem mit Tierdarm bespannten Holzstab, aus. Da Holzbogen kaum lange genug überleben, um sie überdauern zu können, sind die Details etwas verschwommen, aber an irgendeinem Punkt – vielleicht in den zentralasiatischen Steppen – begannen Bogenmacher dann, zwei, dreiStreifen unterschiedlicher Hölzer zusammenzukleben, um den Wirkungsgrad der Waffe zu erhöhen. Die Findigkeit gewann fortan an Tempo, und um 1600 v.   Chr. war im Fruchtbaren Halbmond mit dem Kompositbogen bereits eine neue Art Bogen in Gebrauch. Anstatt eines schlichten Stabs begannen die Hersteller jetzt die Spitzen ihrer Bögen nach hinten zu biegen, was dem Schützen mehr Kraft an die Hand gab. Primitivbogen erreichten kaum eine effektive Reichweite von hundert Metern, Kompositbogen jedoch schossen viermal so weit, und die Pfeilgeschwindigkeit war hoch genug, um praktisch alles zu durchdringen, von metallenen Panzern einmal abgesehen.
    [Bild vergrößern]
    Abbildung 2.7Tempo ist alles
    Bei der größten Streitwagenschlacht der Antike überrollt 1274 v.   Chr. der ägyptische Pharao Ramses II. bei Kadesch seine Feinde.

    Auch der Kompositbogen wurde möglicherweise in den Steppen erfunden, und es ist gut möglich, dass er mit dem Streitwagen in die Glücklichen Breiten kam. Wie immer sich das im Einzelnen vollzogen haben mag, der Streitwagen im Verein mit dem Bogen veränderte das Schlachtfeld. Anfänglich spielten die Streitwagen wahrscheinlich noch eine untergeordnete Rolle: Ihre Mannen verschossen ihre Pfeile auf die feindliche Infanterie, um die Formation aufzubrechen, bevor die Speerträger den entscheidenden Schlag führten. Aber mit der Zeit erwiesen sich die Streitwagen als so effektiv, dass Herrscher schließlich Infanterie überhaupt nicht mehr in Massen einsetzten. Es kam so weit, dass Schlachten fast ausschließlich von Streitwagen entschieden wurden. »Dann«, heißt es im Mahabharata , »stürmten diese zornigen Krieger auf ihren Wagen gegeneinander und begannen sich mit Pfeilen zu überschütten, wie Wolken, die einen Platzregen entladen.« 26
    Schlachtfelder waren schon vor dem 17. Jahrhundert v.   Chr. grausam gewesen, als Tausende von Infanteristen gegeneinander drängten und über feindliche Schilde hinweg Bronzespeere in Hals und Gesicht oder unterhalb dieser Schilde in Weichteile und Schenkel zu stoßen versuchten. Bei großen Schlachten fielen Hunderte, und Hunderte mehr starben einen langsamen Tod – »einige fluchend, einige um einen Feldscher schreiend, einige über ihre Frauen, die sie arm zurückgelassen, einige über ihre unbezahlten Schulden, einige über ihre unerzognen Kinder«, wie Shakespeare später sagen sollte. »Ich fürchte, es sterben nur wenige gut, die in einer Schlacht umkommen.« 27
    Spätestens um 1600 v.   Chr. jedoch war eine ganz neue Art von Schrecken hinzugekommen. Pferde boten größere Ziele als Menschen und waren für gewöhnlich ungepanzert. Um einen Streitwagen zu stoppen, schoss man entweder die Pferde ab oder Männer mit Nerven aus Bronzeseilen blieben stehen, während das Vehikel an ihnen vorbeidonnerte, um den Tieren dann von hinten eine Achillessehne zu durchschneiden oder den Bauch aufzuschlitzen. (Plänkler führten zu eben diesem Zweck fiese sichelförmige Messer mit.) Während der folgenden 3   500 Jahre, bis ins 20. Jahrhundert n.   Chr. hinein, sollten eurasische Schlachtfelder nicht weniger voll stumm verblutender Pferde als kreischend verblutender Menschen sein. *22
    Streitwagen brauchten einige weitere Jahrhunderte, um sich von den Steppen Kasachstans bis nach China auszubreiten, kamen dort aber um 1200 v.   Chr. an und gegen 600 v.   Chr. in Indien (das sich noch immer nicht von dem Kollaps am Indus erholt hatte). In die

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