Krieg – Wozu er gut ist
Gewalt bestand. Wenn zwei Könige gegeneinander in den Krieg zogen, dann konnten sie vermutlich mehr Leute in den Tod schicken als die Könige in der Zeit vor dem Streitwagen, aber da ein Staat den anderen schluckte, ging die Zahl der Staaten, die gegeneinander in den Krieg ziehen konnten, kontinuierlich zurück. Und wenn denn doch ein Krieg ausbrach, kam es zu überraschend wenigen großen Schlachten. Soweit wir das beurteilen können, entsprach das Verhältnis der Könige im Fruchtbaren Halbmond des 13. Jahrhunderts v. Chr. zu ihren Armeen in etwa dem der Herrscher des 18. Jahrhunderts n. Chr. in Europa. Diese Heere stolzer Berufssoldaten verschlangen derartige Summen, dass niemand im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte sie in eine Schlacht schickte, die sie womöglich auf einen Schlag vernichtete, wenn es nicht unbedingt nötig war. (Bei den größten uns bekannten Streitwagenschlachten – der von Megiddo 1638 v. Chr. und der von Kadesch 1274 – war wenigstens in einem Fall, vielleicht sogar in beiden, ein Überraschungsmoment mit im Spiel.)
Wie üblich fehlen uns die Statistiken über die Raten gewaltsamen Todes, aber Indizienbeweise legen nahe, dass das goldene Zeitalter des Streitwagens in den Glücklichen Breiten – 1600–1200 v. Chr. in und um den Fruchtbaren Halbmond, 1000–600 v. Chr. in China und 500–100 v. Chr. in Indien – alles in allem einen Rückgang des Risikos sah, ihn zu sterben. Natürlich haben wir in einem so immensen Gebiet nur punktuelle Belege für dieses Muster, Tatsache ist aber, dass die Zahl der Kriegerbestattungen zurückging und die Kunst der oberen Schichten eher die Künste des Friedens betonte; außerdem wurden Befestigungsanlagen außerhalb der militärischen Grenzen rar.
Bei alledem expandierte der Handel und sorgte für eine Zunahme des Wohlstands. Auch für dieses Muster haben wir nur punktuelle Belege, Tatsache ist aber, dass die Regionen, die besonders aktiv Handel betrieben – etwa Ugarit an der syrischen Küste oder die Städte des minoischen Kreta –, voll großer, komfortabler Häuser sind, die von einer wohlhabenden Mittelklasse zeugen. Spektakuläre Funde von Wracks im Mittelmeer geben uns einen Einblick in den ausgedehnten Handel an Metallen, Wein und anderen kleinen Luxusgütern, während in Dokumenten aus Königspalästen und den Kontoren von Kaufleuten von Hölzern, Nahrung und Textilien die Rede ist, die innerhalb und zwischen den Königreichen bewegt wurden. Der Krieg war produktiver denn je.
Bis dem ganz plötzlich wieder nicht mehr so war. Das Zeitalter der Streitwagen hatte mit Veränderungen an der Peripherie begonnen und endete auf diese Weise. Nur dass diesmal die relevante Peripherie nicht Zentralasien, sondern Europa war. Der Ackerbau hatte sich bis 4500 v. Chr. vom Fruchtbaren Halbmond aus über den größten Teil Europas ausgebreitet; er nahm während der folgenden drei Jahrtausende zu und schloss dabei nach und nach den Käfig. Dreitausend Jahre lang hatten die Europäer in der klassischen Form des Überfalls mit Bogen und Dolch gekämpft, aber um 1450 v. Chr. entdeckten Schmiede im Gebiet des heutigen Norditaliens und Österreichs etwas, was den Bedürfnissen der Krieger dieser Gegend entsprach. Als Krieger im Fruchtbaren Halbmond tausend Jahre zuvor von Überfällen auf offene Schlachten umzusteigen begonnen hatten, waren die Bronzelegierungen eher primitiv gewesen, und die besten Waffe, mit denen das Handwerk hatte aufwarten können, war der schwere Stoßspeer gewesen. Die relativ weiche Bronze, die damals zu haben war, taugte für Dolche und unhandliche sichelförmige Kurzschwerter, die gerade mal zum Zuschlagen taugten; richtige Schwerter *23 jedoch – die lang und hart genug zum Hauen und Stechen waren und verlässlich genug, um ihnen sein Leben anzuvertrauen – überstiegen die Fähigkeiten selbst des besten Schmieds.
Um 1450 v. Chr. jedoch schufen Bronzeschmiede Metalle, die fest genug waren, um daraus lange, gerade Schwerter zu fertigen, bei denen Blatt und Heft aus einem Stück bestanden. Das Heft löste sich nicht, egal wie hart ein Kämpfer gegen den Panzer des Gegners schlug. Und es ließ sich damitzustechen: Die meisten Schwerter haben beidseitig je eine Hohlkehle die Länge der Klinge entlang, die unter Archäologen schaurigerweise (aber vielleicht treffend) als Blutrinne bezeichnet wird.
Binnen zweier Jahrhunderte nach 1450 v. Chr. bereitete sich der neue Schwerttyp über Nord- und Westeuropa
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