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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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den Kugelhagel der Musketen unterstützen. Dagegen sollte die Kavallerie die Schusswaffen aufgeben. Bis zum 17. Jahrhundert waren Reiter in der Regel mit einer Pistole in der Hand auf die feindliche Infanterie zugestürmt, hatten aus der Nähe geschossen und waren davongaloppiert, aber das unablässige Musketenfeuer machte dieses Vorgehen geradezu selbstmörderisch. Gustav Adolf versetzte die Reiter zurück ins Zeitalter des kalten Stahls und hielt seine Kavallerie in sicherem Abstand von der Infanterie, bis ein unachtsamer Feind eine offene Flanke bot oder ein demoralisiertes Regiment kehrtmachte und flüchtete. Dann setzten die Reiter mit ihren Säbeln nach.
    Um alle diese Aufgaben gut erfüllen zu können, mussten die Armeen erheblich größer werden, wurde Gustav Adolf klar. In Azincourt waren die Franzosen 1415 wahrscheinlich mit 30   000 Mann in die Schlacht gezogen, aber als Gustav Adolfs Reformen sich in Europa ausbreiteten, explodierte die Kampfstärke förmlich. In den 1640er Jahren mobilisierten die Großmächte 150   000 Mann (etwa halb so viele, wie die römische Armee zur Zeit Agricolas aufbieten konnte). Frankreich hatte in den 1670er Jahren eine Truppenstärke von 200   000 Mann, 1691 waren es 273   000 und 1696 schließlich 395   000 Mann. Von 1701 bis 1713 kamen weitere 650   000 Franzosen hinzu und ließen die Armee so weit anwachsen, dass Frankreich mehr Soldaten als Priester hatte.
    [Bild vergrößern]
    Abbildung 4.7Das Geheimnis europäischen Erfolges
    Der berühmte Brief, in dem Wilhelm Ludwig, Graf von Nassau-Dillenburg, seinem Vetter Moritz von Oranien die Prinzipien des Salvenfeuerns erklärt, Dezember 1594.

    Während europäische Generäle überlegten, wie sie die Feuerkraft zu Lande maximieren konnten, lösten die Admiräle das gleiche Problem zur See. Ihr Ziel war, die Wirkung der Breitseiten zu maximieren. Im 16. Jahrhundert segelten Flotten tendenziell direkt auf den Gegner zu, aber weil bei Galeonen nahezu alle Geschütze längsseits standen, wurde kaum geschossen, bis die beiden Flotten übereinander herfielen. Dann verkam die Schlacht zu einem Gewirr, in dem die Schützen im Rauch nichts mehr sahen und eigene Schiffe mit ebenso hoher Wahrscheinlichkeit trafen wie feindliche.
    Zwischen den 1630er und 1650er Jahren erfanden niederländische Admiräle die Kiellinienformation, eine maritime Variante des Salvenfeuers. Statt geradewegs auf den Gegner zuzuhalten, bildeten Schiffe nun eineLinie, in der sie hintereinander im Kielwasser des vorausfahrenden parallel zu den gegnerischen Schiffen segelten und Breitseiten abfeuerten. Natürlich übernahmen Engländer, Franzosen und Spanier schon bald diese Formation. So konnten zwei Flotten stundenlang nebeneinander herfahren und aufeinander feuern, bis die Nacht hereinbrach oder ein Admiral das Gefecht abbrach. Falls sich in der feindlichen Linie eine Lücke auftat, segelte ein Geschwader hindurch und attackierte Bug und Heck der Schiffe zu beiden Seiten mit einer Breitseite nach der anderen.
    Die Admiräle organisierten ihre Flotte um. Linienschiffe (die stark genug für den Einsatz in Kiellinienformation waren) bildeten nun das Rückgrat der Kriegsmarine, während kleinere Schiffe die Linie abschirmten, als Kundschafter dienten oder – zumindest bis etwa 1700 – als Brander eingesetzt wurden, die man anzündete und in die feindliche Linie treiben ließ, um Chaos zu verbreiten.
    Zu Land wie auch zur See war der Schlüssel für diese Linientaktiken die Standardisierung. Bereits 1599 teilten niederländische Quartiermeister an alle Soldaten die gleichen Musketen aus, um die Nachladezeit zu synchronisieren. Gustav Adolf reduzierte das im 16. Jahrhundert verbreitete Sammelsurium unterschiedlicher Geschütze auf drei Typen, die drei, zwölf oder 24 Pfund schwere Kugeln abfeuern konnten. Admiräle übernahmen eine französische Variante der Bewaffnung mit 74 Geschützen, die sich auf zwei oder drei Decks verteilten, »74er« genannt; so konnten sie darauf vertrauen, dass alle Schiffe auf leicht wechselnde Winde gleich reagierten und ihre Position in der Linie hielten.
    Der Teil der Kriegsmaschinerie, der sich am schwersten standardisieren ließ, war, wie nicht anders zu erwarten, der Mensch. Laut einem niederländischen Handbuch von 1607 erforderte das Salvenfeuer 43 Einzelschritte, die Musketiere auswendig lernen und unter Feuer perfekt ausführen mussten. Für Geschütze galten eigene komplizierte Routineabläufe, und am schwierigsten war

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