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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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und eroberten, dann könnten sie den Indischen Ozean zu ihrer Privatsee machen und jedes Schiff besteuern, das darauf verkehrte. Portugals Reichtum würde selbst die gierigsten Träume übersteigen.
    Der Plan ging beinah auf, allerdings nicht vollständig. Das hatte teils militärische Gründe. Da es Portugal nie gelang, Aden einzunehmen, befuhren arabische Kaufleute weiterhin den Indischen Ozean, ohne Abgaben zu zahlen. Aber das größere Problem war, dass zur Übersee-Expansion mehr gehörte, als nur Schlachten zu gewinnen. Sie hing nicht nur von vernichtender Feuerkraft ab, sondern auch von vier weiteren Faktoren: Entfernung, Krankheiten, Demografie und Diplomatie. Wie erfolgreich sich Europäer in einem Teil der Welt schlugen, wurde vom Verhältnis dieser Faktoren bestimmt.
    In Amerika, wo dieses Verhältnis die Europäer erheblich begünstigte, war das Ergebnis am extremsten. Entfernung und Demografie sprachen gegen die Eindringlinge und begrenzten die Zahl der Europäer, die in die Neue Welt gelangen konnten; auf lange Zeit bildeten sie gegenüber den amerikanischen Ureinwohnern nur eine winzige Minderheit. Aber als die Europäer erst einmal Fuß gefasst hatten, erwiesen sich die Steinklingen, Keulen und Baumwollrüstungen der Ureinwohner als praktisch nutzlos gegen Stahlschwerter, Pferde und Feuerwaffen. Vierzig Jahre nach Kolumbus’ Landung brachten nur 168 Spanier Zehntausenden Inkas bei Cajamarca im Norden des heutigen Peru eine vernichtende Niederlage bei, nahmen König Atahualpa gefangen und beendeten die Entwicklung heimischer Leviathane (Abbildung 4.8.). Schädel mit Einschusslöchern auf Friedhöfen des 16. Jahrhunderts zeugen lebhaft vom Triumph der Feuerkraft über Entfernung und Demografie (Abbildung 4.9).
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    Abbildung 4.8Karte Amerikas
    Orte, die in diesem Kapitel erwähnt sind.

    Aber wie die Portugiesen im Indischen Ozean mussten auch die Spanier in Amerika lernen, dass Feuerkraft nicht immer ausreichte. Cortés’ Konquistadoren entkamen 1520 nur knapp einem Aztekenaufstand, und ihre Plünderung Tenochtitláns im folgenden Jahr hatte ebenso viel mit Diplomatie wie mit Feuerwaffen zu tun. Cortés hatte durchaus auch mit eigenen diplomatischen Problemen zu kämpfen und musste eine Zeitlangsogar einen Bürgerkrieg gegen einen rivalisierenden Konquistador führen, aber diese Querelen verblassten neben den Spaltungen unter den amerikanischen Ureinwohnern. In Mesoamerika waren die Tlaxcalteken und andere Opfer der Aztekenherrschaft zum Aufstand nur allzu bereit, und in Peru stand Pizarro einem Inkareich gegenüber, das unmittelbar nach einem Bürgerkrieg zutiefst gespalten war. Tatsächlich waren die meisten Soldaten, die Tenochtitlán und Cusco eroberten, amerikanische Ureinwohner.
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    Abbildung 4.9Feuerkraft übertrumpft Entfernung
    Ein neues Phänomen auf Inkafriedhöfen des 16. Jahrhunderts waren Schädel amerikanischer Ureinwohner, die von europäischen Kugeln durchlöchert waren.

    Der wichtigste Faktor für den Erfolg der Spanier waren jedoch Krankheiten. Seit Jahrtausenden hatten europäische und asiatische Bauern mit domestizierten Tieren gelebt und ein unangenehmes Gefolge von Mikroben entwickelt, wie bereits in Kapitel 3 beschrieben. Amerikanische Ureinwohner, die nur wenig domestizierte Tiere hatten, waren gegen diese Infektionen nicht resistent. Es gab einige furchtbare Krankheiten (wie Syphilis), die sie den Spaniern im Gegenzug übertragen konnten, aber der Austausch von Krankheitserregern wirkte sich überwiegend zugunsten Europas aus.
    »Geschwüre brachen in unseren Gesichtern auf, an unseren Brüsten, an unseren Leibern, mit schwärenden Wunden waren wir überkrustet von Kopf bis Fuß«, schilderten aztekische Augenzeugen. »Die Kranken lagen wie Leichen hilflos auf ihren Betten. … Niemand konnte die Kranken versorgen, sie konnten nicht aufstehen, sich keine Speisen holen, und so starben sie, alleingelassen auf ihren Schlafstätten.« 30 Die Zahlen sind zwar umstritten, aber die einheimische Bevölkerung schrumpfte im 16. und 17. Jahrhundert sicher um Zigmillionen.
    Diese demografische Katastrophe ließ den Invasoren weitgehend freie Hand. Sie konnten tun, was sie wollten, unter anderem Azteken und Inkas ausplündern, die weltweit größten Silbervorkommen in Potosí in den Anden abbauen und afrikanische Sklaven als Ersatz für die verlorenen einheimischen Arbeitskräfte importieren. Noch jahrhundertelang kam es zu heftigen Kämpfen mit

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