Krieger der Stille
geschickte Manöver den fliegenden Steinen der gegnerischen Mannschaft auszuweichen. Er hörte den dumpfen Aufschlag der Steine, sah das Blut aus den Flanken der Reittiere strömen, roch den Schweiß der Tiere und beobachtete namhafte Kämpfer wie Kalul de Merone, Hercles Trismegar oder Paulun Saint-Fiac. Und er erinnerte sich, welche Bewunderung er und alle Syracuser damals diesen Helden gezollt hatten … Doch dann hatte der Seigneur Arghetti Ang unter dem Einfluss der Kirche des Kreuzes die Schigalin-Turniere verboten. Man könne nicht das Kreuz anbeten und gleichzeitig Wesen aus Fleisch und Blut vergöttern … Einen ganzen Tag hatte er damals geweint, als sein Vater ihm diese schreckliche Nachricht mitgeteilt hatte.
Endlich kam das prächtige Anwesen Tist d’Argolons in Sicht, ein kleines Schloss mit kegelförmigem Dach, das von eleganten Türmchen umgeben war, deren mit Optalium gedeckte Turmspitzen einen hellen Kontrast zum dunklen Himmel bildeten. Im Park mit den jahrhundertealten Bäumen herrschte das angenehme Zwielicht der von den fünf Satelliten erhellten Zweiten Nacht.
Die Hauptallee führte zu einer imposanten Freitreppe, von der aus man zu dem von rosa und weißen Säulen flankierten Portal gelangte. Die Farben der Nacht spiegelten sich in den stillen Wassern ovaler Becken wider und in den kunstvollen Statuen aus Optalium, die in perfekter Symmetrie darum angeordnet waren.
Artuir Boismanl bewunderte die majestätische Harmonie der Anlage, doch gleichzeitig fragte er sich, ob dieser Ort für eine derartige Zusammenkunft geeignet sei, weil das Gerücht umging, es herrsche ein latenter Krieg zwischen dem Großkonnetabel Pamynx und Tist d’Argolon. Es war daher anzunehmen, dass das Anwesen des Höflings verstärkt überwacht wurde. Doch so sehr er sich auch anstrengte, der Tuchhändler konnte keine verdächtigen Bewegungen oder Geräusche in dem Park ausmachen.
Kein Licht war hinter den ovalen Fenstern des kleinen Schlosses zu sehen. Es wirkte wie erstarrt, ohne Leben. Eine innere Stimme sagte Artuir Boismanl, es wäre besser, so schnell wie möglich umzukehren. Doch sein aufwallender Stolz erstickte diese Stimme. Eine solche Niederlage durfte er seiner Frau nie und nimmer eingestehen! Noch in zehn Jahren würde sie ihm vorhalten, wieder einmal recht gehabt zu haben. Also stieß er vorsichtig den angelehnten Flügel des imposanten Portals auf.
Aus ihrem Schlaf aufgeschreckt, stießen die Pfaue plötzlich schrille Schreie aus und stoben mit wild schlagenden Flügeln in alle Richtungen davon. Artuir Boismanls Herz fing heftig zu schlagen an, und er musste seinen ganzen Mut zusammennehmen, um nicht Hals über Kopf zu fliehen. Langsam normalisierte sich sein Puls wieder; er gebot seiner inneren Stimme Schweigen – einer Stimme, die
seltsamerweise der seiner Frau glich – und betrat, wie ihm geheißen, die Hauptallee.
Die weißen Steine knirschten unter seinen Schritten. Beunruhigt sah er sich um. Er wollte sich vergewissern, ob sein Gedankenhüter ihm noch folgte. Der weiße Kapuzenmantel war noch immer hinter ihm. Aber in diesem verlassenen Park, wo die Zeit stillzustehen schien, wurde er zu einer erschreckend bedrohlichen Erscheinung.
Artuir zuckte mit den Schultern und ging weiter. Doch anstatt das Schlösschen über die Freitreppe zu betreten, wandte er sich nach links, umrundete den Flügel des Gebäudes, vor dem flammend rote Leripas und Zwergbäume mit leuchtend gelben Blättern wuchsen, und schlug den Weg zu einer kleineren Allee ein, die von Büschen gesäumt war, an denen vielgestaltige Früchte hingen.
An einer Wegbiegung stürzten aus dem Dunkel knurrend und zähnefletschend zwei riesige Löwenhunde auf den Tuchhändler zu. Das Blut gefror ihm in den Adern, und er blieb abrupt stehen. Ihre Schnauzen berührten seine Waden. Er betete zu allen Heiligen, dass sie nicht ihre Fänge in sein weiches Fleisch bohrten. Sein Gebet wurde erhört: Die Bestien schüttelten ihre Mähnen und trollten sich, ohne den Gedankenschützer zu beschnüffeln.
Artuir Boismanl stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und setzte, noch immer etwas zitternd, seinen Weg fort. Endlich sah er die Bronzekuppel der exotischen Pagode mit dem anschaulichen Namen: Tempel der Liebe und der Sommerträume.
Als er vor der Tür stand, empfing ihn niemand. Er fragte sich, ob er sich im Datum geirrt haben könnte – unmöglich! Tausend Mal hatte er sich dessen vergewissert. Oder schlimmer noch, ob er nicht in eine von
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