Krieger der Stille
hatte seine Frau eines Abends ironisch bemerkt.
Leider hatte er ihr recht geben müssen. Jedenfalls in diesem Punkt. Seit er die Botschaft des hochgestellten Tist d’Argolon empfangen hatte, war er von einem permanenten Angstgefühl umgeben, ganz gleich, wo er sich gerade befand: in seinem Laden, in seiner Wohnung und im Palast, wohin er sich oft aus geschäftlichen Gründen begeben musste. Eine schreckliche Furcht beherrschte ihn nun täglich: Sollte es Tist d’Argolon und dessen Freunden gelungen sein, die von seinem – Artuirs – Gedankenschützer errichtete mentale Barriere zu durchdringen, seine innersten Gedanken lesen zu können, dann wären auch andere, ihm weniger wohlgesonnene Leute dazu in der Lage. Daher seine ständige Angst vor dem plötzlichen Auftauchen der Purpur-Garde. Angst, in eins der finsteren Verließe am Brolly-Ang-Platz geworfen zu werden. Angst vor den argwöhnischen Blicken der Vikare und Bischöfe der Kirche des Kreuzes während der Messen im Tempel. Angst vor jedem … Angst vor allem …
Und trotz der Qualen, die Artuir Boismanl wegen seiner Ängste durchlitt, hatte er beschlossen, an dem von Tist d’Argolon einberufenen Geheimtreffen teilzunehmen. Denn er betrachtete seine Seelenqualen als eine Art Prüfung, bei der er beweisen müsse, dass sein erkaufter Adelstitel dem der von Geburt an Adeligen gleichwertig sei.
»Du bist verrückt, mein armer Artuir. Du kannst in der Öffentlichkeit nicht einmal zwei zusammenhängende Sätze sprechen«, hatte seine Frau moniert.
Frauen im Allgemeinen und meine insbesondere, haben die ekelhafte Angewohnheit, immer alles kritisieren zu müssen, hatte Artuir gedacht.
Da er von der Annahme ausging, dass der hoch geschätzte Tist d’Argolon die Elite des syracusischen Hofes zu dieser Versammlung gebeten hatte, war seine Entscheidung daran teilzunehmen, positiv ausgefallen. Ohne es sich offen einzugestehen, fand er es schmeichelhaft, als kleiner Adeliger und Abkömmling einer Familie von Tuchhändlern, der seinen Aufstieg nur jenen von den Höflingen begehrten Textilien verdankte, von diesem bedeutenden Mann, dem Apologeten syracusischer Eleganz und Lebensart, zu diesem Treffen gebeten worden zu sein. Obwohl er sich eingestehen musste, dass der große Tist ihn nicht einmal eines Blickes würdigte, geschweige denn grüßte, wenn sie einander zufällig im Herrschaftspalast begegneten. Eines Tages hatte Artuir den fatalen Fehler gemacht, sich darüber bei seiner Frau zu beklagen.
»Wir sind nur Händler!«, hatte sie gegiftet. »Dein Vater hat seinen Adelstitel wie ein gewöhnliches Stück Stoff gekauft. Glaubst du wirklich, dass so etwas als Eintrittskarte in die große Welt genügt? Du mit deiner lächerlichen mentalen Kontrolle und deinem dämlichen Gedankenschützer … Was du auch tust oder sagst, die Adeligen werden dich immer wie einen Paritolen behandeln, mein armer Artuir …«
Er hasste es, wenn sie ihn ›mein armer Artuir‹ nannte. Die meiste Zeit verbrachte sie damit, ihn zu erniedrigen. Doch da sie pragmatisch veranlagt war und meistens recht hatte, musste er zwangsläufig ihre Ratschläge befolgen und sorgfältig darauf achten, nicht die eng gesetzten Grenzen seiner sozialen Stellung zu überschreiten.
Und nun hatte er diese Nachricht bekommen: Die große Welt bat ihn in ihren illustren Kreis! Welch unverhoffte Gelegenheit, ein Mitglied der Elite zu werden.
»Hast du etwa auch daran etwas auszusetzen, liebe Frau?«
»Mir kommt das Ganze ziemlich dubios vor. Wenn sie dich einladen, mein guter Boismanl, dann wollen sie etwas von dir. Wahrscheinlich dein Geld. Oder sie wollen sich die Unterstützung der Gilde der Kaufleute sichern. Schließlich bist du einer ihrer Repräsentanten. Jedenfalls haben sie dich nicht eingeladen, weil sie dich als Persönlichkeit schätzen, mein armer Artuir.«
Wie sollte er weiter mit einer Frau diskutieren, die ihn ständig ›mein armer Artuir‹ oder ›mein guter Boismanl‹ nannte?
Nein, Artuir Boismanl sah die Dinge ganz anders, aber er behielt seine Meinung für sich: Eine einflussreiche Gruppe Höflinge suchte nach Möglichkeiten, die Macht der Scaythen und vor allem die des Großkonnetabels Pamynx einzudämmen. Niemand fühlte sich in Venicia mehr sicher. Adelige und Bürger stritten um die Dienste der Gedankenhüter, weil es viel zu wenige gab. Und ohne Gedankenschützer kamen sich alle nackt vor, quasi ohne Haut und Haar, der mentalen Inquisition der Vertreter der Kirche des Kreuzes
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