Krieger des Feuers - Sanderson, B: Krieger des Feuers - The Well of Ascension, Mistborn 2
einer energischeren Bewegung drehte sie sich um und ging auf ihren Koloss zu.
»Herrin Vin?«, fragte Sazed und bewirkte, dass sie sich zu ihm umwandte. »Da draußen ist immer noch eine Armee.«
»Ach, ich weiß«, sagte sie und nahm von einem Koloss dessen großes, keilartiges Schwert entgegen. Es war um einige Zoll größer als sie selbst.
»Ich bin mir Straffs Absichten durchaus bewusst«, sagte sie und warf sich das Schwert über die Schulter. Dann ging sie in den Nebel und Schnee hinein und auf die Festung Wager zu. Ihre seltsame Koloss-Garde stapfte hinter ihr her.
Sazed war bis in die Nacht mit seiner selbstgestellten Aufgabe beschäftigt. Er fand Leichen über Leichen in der frostigen Nacht; viele waren bereits von einer Eisschicht überzogen. Inzwischen fiel kein Schnee mehr, und der Wind hatte aufgefrischt und den Schneematsch in glattes Eis verwandelt. Einige Leichen musste er vom Eis befreien und umdrehen, damit er in ihre Gesichter blicken konnte.
Ohne seinen Messinggeist, der ihm Wärme verlieh, hätte er diese grausige Aufgabe nicht ausführen können. Trotzdem hatte er sich zunächst wärmere Kleidung besorgt – eine einfache braune Robe und ein Paar Stiefel. Die ganze Nacht hindurch arbeitete er, während ihm der Wind Flocken aus Eis und Schnee entgegentrieb. Er begann natürlich beim Tor. Dort befanden sich die meisten Leichen. Schließlich arbeitete er sich zu den Straßen und Gassen vor.
Ihre Leiche fand er erst am frühen Morgen.
Die Stadt brannte nicht mehr. Das einzige Licht kam nun aus
seiner Laterne, doch es reichte aus, um den Streifen aus flatterndem Stoff zu beleuchten, der aus einer Schneewehe hervorragte. Zuerst glaubte Sazed, es sei nur ein weiterer blutiger Verband, der seinen Zweck verfehlt hatte. Dann sah er einen Schimmer aus Orange und Gelb, und er schlich auf die Wehe zu – er hatte keine Kraft mehr für schnelle Bewegungen. Er griff in den Schnee.
Tindwyls Körper knirschte leise, als Sazed ihn umdrehte. Das Blut an ihrer Seite war natürlich gefroren, und die froststarren Augen standen weit offen. Nach der Richtung zu schließen, in der sie gelegen hatte, hatte sie ihre Soldaten auf die Festung Wager zugeführt.
O Tindwyl!, dachte er und berührte ihr Gesicht. Es war noch nicht starr, aber schrecklich kalt. Nach den vielen Jahren des Missbrauchs durch die Zuchtmeister, und nachdem sie so vieles andere überlebt hatte, hatte sie nun hier ihr Ende gefunden. Sie war in einer Stadt gestorben, in die sie nicht gehört hatte, in der Nähe eines Mannes – nein, eines halben Mannes –, der sie nicht verdient hatte.
Er ließ seinen Messinggeist los, und sofort überspülte ihn die Kälte der Nacht. Seine Laterne flackerte unsicher, erhellte die Straße und warf Schatten auf den vereisten Leichnam. Hier, auf der kalten Straße und beim Anblick des Leichnams der Frau, die er liebte, erkannte Sazed etwas.
Er wusste nicht, was er tun sollte.
Er suchte nach passenden Worten – nach passenden Gedanken – , doch plötzlich schien ihm all sein religiöses Wissen hohl und leer zu sein. Welchen Sinn hatte es, sie zu begraben? Was brachte es, Gebete an einen lange vergessenen Gott zu sprechen? Wozu war er selbst noch gut? Die Religion von Dadradah hatte Keuler nichts genützt; der Überlebende war nicht gekommen, um die unzähligen Soldaten zu retten, die den Tod gefunden hatten. Was hatte alles noch für einen Sinn?
Sazeds Wissen vermochte ihm keinen Trost zu spenden. Er akzeptierte die Religionen, die er kannte – er glaubte an ihre
Werte –, aber sie gaben ihm nicht das, was er jetzt brauchte. Sie versicherten ihm nicht, dass Tindwyls Geist noch lebte. Stattdessen stellten sie ihm Fragen. Wenn so viele Menschen an so unterschiedliche Dinge glaubten, wie konnte dann eines von ihnen – oder auch nur überhaupt irgendetwas – wahr sein?
Die Skaa nannten Sazed heilig, doch in diesem Augenblick erkannte er, dass er der weltlichste aller Menschen war. Er war ein Geschöpf, das dreihundert Religionen kannte, aber er glaubte an keine einzige von ihnen.
Als schließlich seine Tränen flossen – und beinahe auf seinem Gesicht froren –, schenkten sie ihm genauso wenig Trost wie seine Religionen. Jammernd beugte er sich über den gefrorenen Leichnam.
Mein Leben ist nur Schein gewesen, dachte er.
Raschek muss Alendi in die falsche Richtung führen, ihn entmutigen oder auf andere Weise seine Suche hintertreiben. Alendi weiß nicht, dass er getäuscht wurde, dass wir alle
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