Krieger des Feuers - Sanderson, B: Krieger des Feuers - The Well of Ascension, Mistborn 2
verbringe.«
»Es ist mir in der Tat egal«, sagte OreSeur. »Aber allmählich wird mir langweilig.«
»Und du bist offensichtlich verärgert.«
»Ich mag es, wenn ich verstehe, was um mich herum vorgeht.«
Vin zuckte die Achseln und deutete auf die Papierstapel. »Das ist das Tagebuch des Obersten Herrschers. Das heißt, eigentlich ist es nicht das Tagebuch des Obersten Herrschers, den wir kennen, sondern das Tagebuch des Mannes, der eigentlich der Oberste Herrscher hätte werden sollen.«
»Hätte werden sollen?«, fragte OreSeur. »Wollt Ihr damit sagen, dass er die Welt hätte erobern sollen, es aber nicht getan hat?«
»Nein«, erwiderte Vin. »Ich will damit sagen, dass er derjenige
hätte sein sollen, der die Macht an der Quelle der Erhebung hätte an sich nehmen sollen. Der Mann, der dieses Buch hier geschrieben hat – wir kennen seinen Namen nicht –, war so etwas wie der Held aus einer Prophezeiung. Oder zumindest wurde das allgemein angenommen. Wie dem auch sei, der Mann, der schließlich zum Obersten Herrscher wurde – Raschek –, war der Lastenträger des eigentlichen Helden. Erinnerst du dich nicht daran, dass wir darüber geredet haben, als du noch den Grafen Renoux gespielt hast?«
OreSeur nickte. »Ich erinnere mich, dass Ihr es kurz erwähnt habt.«
»Nun, das hier ist das Buch, das Kelsier und ich gefunden haben, als wir in den Palast des Obersten Herrschers eingedrungen sind. Zuerst hatten wir geglaubt, es wäre vom Obersten Herrscher persönlich geschrieben, doch dann stellte sich heraus, dass es der Mann verfasst hat, den der Oberste Herrscher getötet hatte und dessen Stelle er danach einnahm.«
»Ja, Herrin«, sagte OreSeur. »Aber warum reißt Ihr das Buch auseinander?«
»Das tue ich nicht«, wandte Vin ein. »Ich habe nur die Bindung entfernt, damit ich die Seiten hin und her bewegen kann. Das hilft mir beim Denken.«
»Ich … verstehe«, sagte OreSeur. »Und wonach sucht Ihr? Der Oberste Herrscher ist tot, Herrin. Wenn ich mich recht erinnere, habt Ihr ihn getötet.«
Wonach suche ich?, dachte Vin und hob ein weiteres Blatt auf. Nach Gespenstern im Nebel.
Langsam las sie die Worte.
Es ist kein Schatten.
Dieses dunkle Ding, das mich verfolgt und das nur ich allein sehen kann – es ist kein richtiger Schatten. Es ist schwarz und durchscheinend, aber es besitzt keine schattenartigen Umrisse. Es ist unkörperlich – unstet und formlos. So als bestünde es aus dunklem Rauch.
Oder vielleicht aus Nebel.
Vin ließ das Blatt sinken. Es hat ihn ebenfalls beobachtet, dachte sie. Sie erinnerte sich daran, wie sie diese Worte vor über einmal Jahr schon einmal gelesen und damals geglaubt hatte, der Held müsse allmählich verrückt geworden sein. Wen hätte dies angesichts des Drucks, unter dem er stand, verwundert?
Doch nun verstand sie den namenlosen Autor des Tagebuchs besser. Sie wusste, dass er nicht der Oberste Herrscher war, und erkannte, was aus ihm hätte werden können. Er war sich seines Platzes in der Welt unsicher, war aber in wichtige Ereignisse hineingeraten. Er hatte das Beste tun wollen, was ihm möglich gewesen war. In gewisser Weise war er ein Idealist gewesen.
Und das Gespenst aus dem Nebel hatte ihm nachgestellt. Was bedeutete das? Was bedeutete es für Vin, dass auch sie es gesehen hatte?
Sie kroch zu einem weiteren Stapel. Den ganzen Morgen hatte sie damit verbracht, in dem Tagbuch nach Hinweisen auf die Nebelkreatur zu suchen. Doch abgesehen von diesen beiden Textstellen, die ihr bereits bekannt waren, hatte sie kaum etwas entdeckt.
Sie legte alle Blätter, die Seltsames oder Übernatürliches erwähnten, auf einen Haufen. Ein kleinerer Haufen bestand aus Erwähnungen des Nebelgespenstes. Außerdem hatte sie einen besonderen Stapel mit Hinweisen auf den Dunkelgrund angelegt. Dieser Stapel war erstaunlicherweise sowohl der größte als auch der am wenigsten aussagekräftige von allen. Der Autor des Tagebuches hatte die Angewohnheit, den Dunkelgrund zwar zu erwähnen, aber nicht viel über ihn zu sagen.
Der Dunkelgrund war gefährlich, so viel war klar. Er hatte das Land verwüstet und Tausende Menschen getötet. Dieses Ungeheuer hatte Chaos überall dort verbreitet, wo es hinkam; es hatte Vernichtung und Angst gebracht, und die Armeen der Menschen hatten es nicht besiegen können. Nur die Prophezeiungen von Terris und die Erwartung des Helden hatten eine gewisse Hoffnung geboten.
Wenn er doch bloß deutlicher geworden wäre!, dachte Vin
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