Krieger des Lichts: Ungezähmtes Herz (German Edition)
Patienten betrat, blickte der ältere Herr auf. Von Schmerzen gezeichnete Augen strahlten vor Freude auf, sie zu sehen.
»Hallo, hübsche Lady. Haben Sie schließlich doch auf die Onkologie gewechselt?«
»Nein, ich bin immer noch auf der Entbindungsstation.« Das Gift in ihrem Körper regte sich, um von den Schmerzen des armen Mannes zu zehren. Große Göttin, sie hasste es, sich von dem Leid anderer zu ernähren, auch wenn es ihnen nicht schadete. Sie nahm ihnen nichts und gab zurück, wozu sie imstande war. »Ich habe Feierabend und bin schon fast weg, aber vorher wollte ich schnell hereinkommen und Hallo sagen. Wie ich höre, verlassen Sie uns morgen.«
Er nickte mit vor Resignation erstarrter Miene. »Hospiz. Hier können sie nichts mehr für mich tun.«
Knochenkrebs im Endstadium. Er war eine leicht anzuzapfende Nahrungsquelle und hatte nicht viele Angehörige und seltener Besuch als die meisten anderen. Also war es ein Geben und Nehmen zwischen ihnen, obwohl nur Ariana das wahre Wesen des Austauschs bewusst war.
Die natürliche Energiequelle einer Ilina war Freude, nicht Leid. Doch mit dem Gift in ihrem Innern war nun alles anders. Es verhielt sich wie ein lebendiges Ding, das nach Qualen verlangte. Schon vor langer Zeit hatte sie herausgefunden, dass das Böse umso schwieriger zu beherrschen war, je gieriger es wurde.
Sie ergriff seine gebrechliche Hand. »Es tut mir leid.«
»Mir auch.« Einen Augenblick lang schwieg er, ehe er energisch die düstere Stimmung abschüttelte. »Erzählen Sie mir von den Orioles. Wie ich höre, haben sie gewonnen.«
In all den Jahrhunderten, die sie nun schon unter den Menschen lebte, hatte sie diese ausgiebig kennen- und verstehen gelernt. Und immer wieder blickte sie voller Demut auf den ungeheuren Mut, den die Menschen im Angesicht ihres Todes zeigten.
»Das stimmt. Sie haben die Mets mit sieben zu sechs geschlagen.« An den Sportarten der Menschen hatte sie nie besonderen Gefallen gefunden, doch Mr McCloud war ein begeisterter Baseballfan, und so hatte sie sich die Spiele angesehen, um ein gemeinsames Gesprächsthema zu haben und ihn von seinen entsetzlichen Schmerzen ablenken zu können.
»Sie hätten sie mal ’96 sehen sollen. Was für ein Team.«
Während Mr McCloud sie ausgiebig mit Geschichten über jene Saison der Orioles versorgte, tat sich das Gift im Innern ihres erschöpften Körpers an seinen Schmerzen gütlich.
Die meiste Zeit im Exil hatte sie als Hebamme oder Schwester auf der Entbindungsstation verbracht, wo ihr Ilina-Wesen von der Freude über die Geburt eines Kindes zehren konnte, während das Gift des Bösen die mit der Geburt einhergehenden Schmerzen verschlang. Doch irgendwann im Laufe der letzten Jahre war das Gleichgewicht gekippt. Entweder wurde sie allmählich schwächer oder das Böse in ihr immer stärker. Entsprechend hatte sie die Nahrungsmengen erhöhen müssen.
Tief im Innern spürte sie die Panik, dass sie womöglich schon die Kontrolle verlor, und die Angst, dass ihr die Kräfte nach all den Jahren ihres verzweifelten Bemühens ausgingen, bevor Melisande den Zauberer finden und zwingen konnte, das Gegenmittel herauszugeben.
Und um das Chaos komplett zu machen, war jetzt auch noch Kougar aufgetaucht und verlangte Erklärungen und Hilfe, die sie ihm nicht geben konnte, während ihre Paarbindung wiederhergestellt und sein Leben aufs Neue in Gefahr war.
Sie fühlte sich erschöpft und schwankte zwischen dem Bedürfnis zu schreien und zu weinen, seit Kougar vor drei Tagen einfach wieder in ihr Leben spaziert war und es auf den Kopf gestellt hatte. Sie teilte den Schmerz, den er angesichts des bevorstehenden Todes seiner Freunde litt. Und trotzdem konnte sie nichts tun. Nichts, außer dafür zu sorgen, dass er sie weiterhin hasste.
Dass sie seine Freunde sterben ließ, dürfte diesen Hass bis in alle Ewigkeit besiegeln. Vielleicht wäre sie eines Tages in der Lage, alles wiedergutzumachen, wenn dieser Albtraum endlich vorbei war und das Gift keine Bedrohung mehr für sie beide darstellte.
Und der Tag würde kommen. Melisande würde den Mistkerl schon finden. Obwohl sie das nun schon seit fast tausend Jahren sagte, durfte sie die Hoffnung nicht aufgeben, dass all dies irgendwann eine böse Erinnerung sein würde. Lange Zeit hatte sie geglaubt, dass Kougar Teil ihrer Zukunft sein würde. Jetzt war sie da nicht mehr so sicher.
Wenn sie nicht weiterhin dafür sorgen konnte, dass er sie hasste, würde er gar keine Zukunft mehr
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