Krieger des Lichts: Ungezähmtes Herz (German Edition)
deinen Vorgängerinnen hier gewesen und weiß die Worte auswendig.« Mel drückte ihre Hände. »Jetzt lass mich los und geh, Ariana. Ich versinke nicht mehr weiter.«
Ariana betete zu den Königinnen, die vor ihr geherrscht hatten, dass Mel recht behielt. Dann lockerte sie den Griff und beobachtete, ob ihre Freundin sich weiter nach unten bewegte.
Doch nichts geschah. Melisande blieb zwar gefangen, sank jedoch nicht weiter ein.
»Geh«, drängte Mel. »Schnell, Ariana, ehe noch irgendetwas anderes geschieht.« Die Angst verlieh Melisandes zittriger Stimme einen ganz fremden Klang. »Ehe sie uns finden.«
Ariana holte tief Luft, nickte und drehte sich dann um. Sie rannte zur Öffnung in der Wand. Als sie hineinspähte, erblickte sie eine Wendeltreppe aus Stein, die genau wie in ihrem Traum aussah. Die Treppe führte in die Dunkelheit. Ein Schauder lief ihr über den Rücken, doch sie zögerte nur einen kurzen Moment, ehe sie durch das Loch schlüpfte und die Treppe hinunterstieg.
Während sie sich an der Wand entlangtastete, wurde es ganz allmählich heller auf der Treppe, bis sie schließlich die Kammer aus Kougars Traum betrat. Sie war viel kleiner als die obere Kammer, deutlich schlichter und nur durch eine einzelne, am anderen Ende des Raumes an der Wand hängende Fackel erleuchtet, die auf sie gewartet zu haben schien. Der Boden unter ihren nackten Füßen bestand nur aus einfachem, unpoliertem Stein, doch die darüber aufragenden Wände waren sehr schön und voller Hochreliefs von blühenden Ranken aus weißem Sandstein.
Ariana ging in Richtung des kleinen Beckens in der Mitte der Kammer, das von einem halben Dutzend Säulen im klassisch dorischen Stil mit seinen Kanneluren umrahmt war. Schlichte Steinschalen vom Umfang großer Blumentöpfe waren zwischen je zwei Säulen gestellt worden, und sie erinnerte sich, dass die Schalen im Traum geleuchtet hatten. Ein Duft reizte ihre Nase und ihr Gedächtnis … der uralte Duft brennenden Weihrauchs. Mit ihm kam die Gewissheit, dass der Tempel ihr Licht erwartete.
Eilig schritt sie zur Fackel und nahm sie von der Wand. Wie hatte sie diesen Ort nur jemals vergessen können? Sie kniete sich vor die erste der Schalen, tauchte vorsichtig die Flamme hinein und beobachtete, wie sie Feuer fing. Dann erhob sie sich, um das Ganze bei den anderen zu wiederholen.
Sie erinnerte sich noch an ihre erste Erweckung, als sie den Wissensschatz der Königinnen vermacht bekam, wenn auch nicht daran, wo sie stattgefunden hatte. Sie entsann sich, wie sich ihr Geist mit den Stimmen und Gesichtern von mehr als einem Dutzend alter Königinnen gefüllt hatte. Diese Königinnen hatten zu einer Zeit gelebt, als die Menschen die Unsterblichen als Götter und Göttinnen verehrt hatten, als Gestaltwandler zu Tausenden die Erde bevölkerten und sich gegenseitig mit Reißzähnen und Schwertern bekämpften. Zu jener Zeit kontrollierten die Zauberer die Natur, vom Wetter bis zur kleinsten Wiesenblume, und sie alle hatten die Dämonen gemieden, die allein hoch oben im Gebirge lebten, wo sie den Unglücklichen auflauerten, die sich in ihr Reich verirrten.
Ariana besaß noch immer eine Fülle an Erinnerungen. So viele, dass sie sich kaum vorstellen konnte, einige davon verloren zu haben. Ihre größte Sorge war, dass die, die sie verloren hatte, ihr vielleicht gar nicht weiterhelfen würden … dass alles umsonst gewesen sein könnte.
Als aus allen sechs Schalen Flammen schlugen, brachte sie die Fackel zurück und trat an das flache Bassin, dessen Boden mit leuchtenden Kristallen bedeckt war und dessen Wasser in allen Farben des Regenbogens glitzerte. Sie war gekommen, um eine weitere Erweckung zu erbitten, doch sie hatte keine Ahnung, wie. Vor Angst zog sich ihr Magen zusammen.
Sie unterdrückte die aufsteigende Panik und atmete tief ein. Ihre Handlungen mussten instinktiv kommen. Auch damals hatte sie so dagestanden, ohne das Wissen aus den Erinnerungen der Königinnen. Natürlich war sie beim ersten Mal jung gewesen, hatte erst wenige Monate gelebt. Ihr Verstand war noch ganz offen gewesen, und ihre Instinkte alles, was sie zur Verfügung hatte. Was sie tun musste, hatte sich ihr ganz einfach und natürlich erschlossen. Nach mehr als dreizehn Jahrhunderten war die Situation nun eine völlig andere für sie.
Trotzdem musste sie das Wissen noch irgendwo in sich tragen.
Sie zwang sich, ihre Ängste zu vergessen, die Welt zu vergessen, schloss die Augen und konzentrierte sich, während sie die
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