Kriegerin der Nacht
auf Kelly. »Erzähl mir davon.«
Kelly erzählte alles. Während sie sprach, schien Grandma Harmans Gesicht immer älter und älter zu werden und in ausgezehrten Linien der Sorge und der Traurigkeit zu versinken. Aber am Ende sagte sie nur: »Ich verstehe. Wir werden versuchen müssen, in Erfahrung zu bringen, wie sie an ihn herangekommen sind und wie genau seine Kräfte aussehen. Ich denke nicht, dass es heute noch irgendjemanden gibt, der ein Experte ist, was - diese Kreaturen betrifft.«
»Sie haben ihn Azhdeha genannt.«
»Hmm - klingt persisch.«
»Das ist es auch«, warf Galen ein. »Es ist einer der alten Namen für das Sternbild Drache. Es bedeutet >Menschenfressende Schlange<.«
Kelly sah ihn überrascht an. Er hatte die ganze Zeit über still dagesessen und zugehört, ohne zu unterbrechen. Jetzt beugte er sich vor und in seinen grüngoldenen Augen stand ein intensiver Ausdruck.
»Die Gestaltwandler haben einige alte Schriftrollen über Drachen. Ich denke, Sie sollten sie um diese Schriftrollen bitten. Vielleicht geben sie eine gewisse Vorstellung davon, welche Kräfte Drachen haben und wie man gegen sie kämpfen kann. Ich habe die Schriftrollen einmal gesehen, aber ich habe sie nicht wirklich studiert; ich glaube nicht, dass irgendjemand das schon getan hat.«
Er hatte die uralten Schriftrollen gesehen? Dann war er also doch ein Gestaltwandler. Aber warum hatte sie keine tierische Gestalt bei ihm spüren können?
»Galen ...«, begann Kelly, aber Grandma Harman kam ihr zuvor.
»Das ist eine gute Idee. Wenn ich sie bekomme, werde ich Kopien an dich und Kelly schicken.« Sie wandte sich Kelly zu. »Er ist schließlich einer von deinen Leuten und du kannst vielleicht bei der Suche nach einer geeigneten Kampfstrategie gegen ihn helfen.«
Kelly wollte schon entrüstet protestieren, dass er in keiner Beziehung zu ihr stehe - aber natürlich war das nicht die Wahrheit. Die Drachen hatten einst über die Gestaltwandler geherrscht. Und ihr Blut floss noch immer im Ersten Haus, in der Familie Dragon, die heute über die Gestaltwandler herrschte. Was immer dieses Ungeheuer war, es gehörte zu ihrem Volk.
»Es ist also entschieden. Kelly, du und dein Team, ihr werdet Iliana nach Hause bringen. Ich werde zum Zirkel der Morgendämmerung zurückkehren und versuchen, mehr über Drachen in Erfahrung zu bringen. Es sei denn ...« Sie sah Iliana an. »Es sei denn, dieses Gespräch hätte etwas an deiner Meinung geändert.«
Unglaublicherweise plapperte Iliana einfach wieder drauflos und führte mit niemand Bestimmtem ein Gespräch über Geschenke. Es war klar, dass sie ihre Meinung nicht geändert hatte.
Aber Kelly hatte andere Sorgen.
»Es tut mir leid - aber das ist nicht Ihr Ernst, oder? Dass wir sie nach Hause bringen sollen?«
»Es ist mein absoluter Ernst«, erwiderte Grandma Harman.
»Aber das können wir nicht tun.«
»Wir können und wir müssen es. Ihr drei Mädchen werdet ihre Leibwächter sein und ihre Freundinnen. Ich hoffe, dass ihr sie bis zur Mitternacht des nächsten Samstags, wenn die Gestaltwandler und Hexen zusammenkommen, dazu bewegen könnt, ihre Verantwortung zu akzeptieren. Doch wenn nicht ...« Grandma Harman neigte schwach den Kopf und stützte sich auf ihren Gehstock. Sie sah Iliana an. »Wenn nicht«, sagte sie mit kaum hörbarer Stimme, »werdet ihr sie einfach, solange ihr könnt, beschützen müssen.«
Kelly versagte beinahe die Stimme. »Ich weiß nicht, wie wir sie überhaupt beschützen können. Bei allem Respekt, Ma’am, es ist eine absolut wahnsinnige Idee. Unsere Feinde werden inzwischen wissen, wo sie wohnt. Selbst wenn wir vierundzwanzig Stunden am Tag an ihrer Seite bleiben - und ich weiß nicht, wie wir das in Anwesenheit ihrer Familie überhaupt schaffen sollen ...«
Der weiße Kopf fuhr hoch und um die Lippen der alten Frau spielte sogar ein schwaches Lächeln. »Darum werde ich mich kümmern. Ich werde mit ihrer Mutter reden - mit Anna, Elspeth’ Enkelin. Ich werde mich vorstellen und ihr erklären, dass die lange verlorenen Cousinen ihrer Tochter über Weihnachten zu Besuch gekommen sind.«
Und zweifellos werden Sie irgendetwas Hexenmäßiges mit Annas Geist anstellen, dachte Kelly. Ja, danach würde man sie im Haus akzeptieren, obwohl keine von ihnen auch nur die geringste Ähnlichkeit mit Ilianas möglichen Cousinen hatte.
»Und dann werde ich das Haus mit Zaubern umgeben.« Und dabei zuckte in Grandma Harmans Augen so etwas wie ein silberner Blitz auf.
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