Kriegerin der Nacht
bereits winzige Gestalt war fast vollkommen gekrümmt. Sie ging mit einem Gehstock in einer Hand, während sie die andere in die Armbeuge eines unauffälligen jungen Mannes gelegt hatte.
Doch die Augen, die Kellys Blick begegneten, waren alles andere als senil. Sie waren leuchtend und beinahe stählern, grau, mit einem winzigen Anflug von Lavendel.
»Der strahlende Segen der Göttin möge auf euch allen ruhen«, sagte sie und schaute sich lächelnd im Raum um.
Es war Winnie, die antwortete. »Ihre Anwesenheit ist eine Ehre für uns - Grandma Harman.«
Im Hintergrund fragte Iliana mit klagender Stimme zum dritten Mal: »Wer?«
»Sie ist deine Urgroßtante«, antwortete Winnie mit vor Ehrfurcht leiser Stimme. »Und die Älteste der Harmans. Sie ist die Alte aller Hexen.«
Iliana murmelte etwas, das so klang wie: »So sieht sie auch aus.«
Kelly griff ein, bevor Winnie sie attackieren konnte. Sie machte alle miteinander bekannt. Grandma Harmans scharfe Augen flackerten, als Galen an die Reihe kam, aber sie nickte nur.
»Das ist mein Lehrling und Fahrer, Tobias«, stellte sie den jungen Mann an ihrer Seite vor. »Er begleitet mich überallhin, also könnt ihr vor ihm offen sprechen.«
Tobias half ihr zum Sofa und auch alle anderen nahmen Platz - bis auf Iliana, die halsstarrig in ihrer Ecke stehen blieb.
»Wie viel habt ihr ihr erzählt?«, erkundigte sich Grandma Harman.
»Fast alles«, sagte Kelly.
»Und?«
»Sie - ist sich nicht ganz sicher.«
»Ich bin mir sicher«, meldete Iliana sich zu Wort. »Ich will nach Hause.«
Grandma Harman streckte ihr eine knotige Hand entgegen. »Komm her, Kind. Ich will einen Blick auf meine Urgroßnichte werfen.«
»Ich bin nicht Ihre Urgroßnichte«, sagte Iliana. Aber da der Blick dieser stählernen, doch gleichzeitig sanften Augen auf ihr ruhte, machte sie einen Schritt vorwärts.
»Natürlich bist du das; du weißt es nur nicht. Ist dir klar, dass du genauso aussiehst wie meine Mutter, als sie in deinem Alter war? Und ich wette, deine Urgroßmutter hat auch so ausgesehen.« Grandma Harman klopfte auf das Sofa. »Komm her. Ich werde dir nicht wehtun. Mein Name ist Edgith und deine Urgroßmutter ist meine kleine Schwester, Elspeth.«
Iliana blinzelte langsam. »Urgroßmutter Elspeth?«
»Es ist eine Ewigkeit her, dass ich sie das letzte Mal gesehen habe. Es war während des Ersten Weltkriegs. Sie und unser kleiner Bruder, Emmet, wurden vom Rest der Familie getrennt. Wir hielten sie alle für tot, aber sie wurden in England großgezogen. Sie wuchsen auf und bekamen dort Kinder und schließlich kamen einige dieser Kinder nach Amerika. Natürlich ohne jemals etwas von ihrer wahren Herkunft zu ahnen. Wir haben lange gebraucht, um ihre Nachfahren aufzuspüren.«
Iliana hatte einen weiteren unwillkürlichen Schritt auf das Sofa zu getan. Sie schien fasziniert zu sein von dem, was die alte Frau erzählte. »Mom spricht immer von Urgroßmutter Elspeth. Sie war angeblich so schön, dass ein Prinz sich in sie verliebte.«
»Schönheit hat schon immer in unserer Familie gelegen«, sagte Grandma Harman achtlos. »Unaussprechliche Schönheit, seit den Tagen der Hellewise Herdfrau, unserer Urmutter. Aber das ist nicht das Wichtigste daran, eine Harman zu sein.«
»Ach nein?«, fragte Iliana zweifelnd.
»Nein.« Die alte Frau stieß ihren Gehstock auf den Boden. »Das Wichtigste, Kind, ist die Kunst. Hexenkunst. Du bist eine Hexe, Iliana; es liegt dir im Blut. So wird es immer sein. Und du bist das Geschenk der Harmans in diesem letzten Kampf. Jetzt hör genau zu.« Grandma Harman starrte an die Wand ihr gegenüber und zitierte langsam und bedächtig:
***
Eine aus dem Land der Könige, lang vergessen;
Eine vom Herd, der noch die Glut bewahrt;
Eine aus der Tagwelt, in der zwei Augen wachen;
Eine aus dem Zwielicht, welches das Dunkel sucht.
***
Selbst als sie zum Ende gekommen war, schienen die Worte noch in der Luft zu hängen. Niemand sprach.
Ilianas Augen hatten sich verändert. Sie schien in sich selbst hineinzuschauen, auf etwas, das nur sie sehen konnte. Es war, als regten sich tief vergrabene Erinnerungen.
»Das ist richtig«, sagte Grandma Harman sanft. »Du kannst die Wahrheit dessen, was ich dir sage, spüren. Es ist alles da, der Instinkt, die Kunst, wenn du sie nur an die Oberfläche kommen lässt. Selbst der Mut ist da.«
Plötzlich hallte die Stimme der alten Frau durch den Raum. »Du bist die Glut in der Prophezeiung, Iliana. Die Hoffnung der Hexen.
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