Kriegerin der Nacht
wirkte nicht im Mindesten verlegen oder arrogant.
Ich nehme an, sie ist es gewohnt, dass alle sie anstarren, dachte Kelly.
Mutter Cybele schlug ihre kleinen, weichen Hände zusammen und schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, glänzten Tränen darin.
Aber sie sagte nur: »Willkommen, mein Kind. Grandma Harmans letzte Worte galten dir. Sie hoffte, dass du deine Macht finden würdest.«
»Sie hat sie gefunden«, bestätigte Kelly. »Und Winnie hat ihr dabei geholfen.«
»Allerdings habe ich ihr nicht geholfen, das zu tun«, gestand Winnie freimütig, »was sie dort auf der Lichtung getan und gesagt hat. Ich habe nur versucht, ihr zu zeigen, wie man das orangefarbene Feuer benutzt. Aber als sie zu sprechen begann ...« Sie schüttelte ihren Lockenkopf. »Ich weiß nicht, woher sie all diese Dinge über Hekate wusste.«
»Die Worte sind mir einfach in den Sinn gekommen«, sagte Iliana. »Ich weiß nicht, woher. Es war, als spräche jemand diese Worte zu mir und ich habe sie lediglich wiederholt.«
Aber wer könnte sie gesagt haben?, dachte Kelly. Wer - außer jemand, der bereits beim allerersten Mal dabei war, als der Drache schlafend begraben wurde? Wer sonst als die Hexenkönigin Hekate selbst?
Obwohl sie seit dreißigtausend Jahren tot war.
Für alles, was geschlafen hat, ist es an der Zeit, wieder zu erwachen.
Plötzlich wurde Kelly bewusst, dass sie ein Geräusch aus der Menge hörte. Zuerst dachte sie, es sei erneut ungläubiges Raunen oder vielleicht auch ärgerliche Äußerungen über diese Leute, die jetzt einfach auf der Bühne standen und redeten.
Dann wurde das Geräusch immer lauter und sie erkannte, dass es Applaus war.
Die Leute klatschten und jubelten und pfiffen. Der Lärm hallte von der Decke und den Wänden wider. Und gerade als Kelly dachte, es könne unmöglich noch lauter werden, brandete eine neue Welle von Applaus auf und bewies, dass sie sich irrte.
Mutter Cybele brauchte lange, um für Ruhe zu sorgen. Dann wandte sie sich an Kelly und fragte förmlich: »Also hast du deine Mission erfüllt?«
Kelly begriff, dass das ein Wink war. Und inmitten des schwindelerregenden Glücks, das sie eben noch verspürt hatte, presste ihr etwas das Herz zusammen.
Doch sie ließ es sich nicht anmerken. Sie blieb weiter hoch aufgerichtet stehen.
»Ja«, antwortete sie Mutter Cybele. »Ich habe das Hexenkind hergebracht.« Sie schluckte hörbar.
»Und hier ist der Sohn des Ersten Hauses der Gestaltwandler«, erklärte Galens Vater. Er ging zu Galen hinüber und griff nach seiner Hand. Sein Gesicht war streng, doch zugleich leuchtete es vor Stolz.
Galens Gesicht war bleich und starr. Er sah Kelly an - nur für einen Moment. Und dann schaute er mit leerem Blick direkt ins Publikum.
Mutter Cybele sah Iliana an. Um ihre Hand zu nehmen, vermutete Kelly, und sie in Galens zu legen. Aber Iliana flüsterte gerade mit Aradia.
Als sie sich schließlich umdrehte, sagte Iliana: »Ich will, dass Kelly es tut. Sie ist diejenige, die für all das verantwortlich ist.«
Kelly blinzelte. Ihre Kehle war so angeschwollen, dass es unmöglich war, zu schlucken. Aber das hätte sie nie von Iliana gedacht. Wirklich, es war einfach nur sinnlos und grausam, ausgerechnet sie das tun zu lassen.
Aber vielleicht ... versteht sie es einfach nicht. Das ist es, sie weiß es ja nicht, dachte Kelly. Sie stieß einen vorsichtigen, zittrigen Atemzug aus und sagte: »In Ordnung.«
Sie griff nach Ilianas Hand ...
Und spürte einen Stich in ihrer eigenen Hand.
Erstaunt schaute sie hinunter. Iliana hatte ein Messer in dieser Hand, ein äußerst praktisches kleines Messer. Sie hatte Kelly damit geschnitten und Kelly blutete. Und auch Iliana schien zu bluten.
»Entschuldige«, sagte Iliana mit zusammengebissenen Zähnen. »Igitt, ich hasse Blut.«
Dann griff sie wieder nach Kellys Hand, wandte sich dem Publikum zu und hob ihrer beider Hände hoch.
»Da!«, rief sie. »Jetzt sind wir Blutsschwestern. Aber sie ist schon längst wie eine Schwester für mich, weil sie mir wieder und wieder das Leben gerettet hat. Und wenn das nicht für ein Bündnis zwischen den Hexen und den Gestaltwandlern genügt, dann weiß ich nicht, was genügen würde.«
Das ganze Publikum starrte sie an. Mutter Cybele blinzelte ununterbrochen.
»Willst du damit sagen ...« Galens Vater sah sie ungläubig an. »Willst du damit sagen, dass du meinen Sohn nicht heiraten wirst?«
»Ich sage, dass sie Ihren Sohn heiraten sollte - oder sich ihm
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