Kriegsenkel
richtig und was falsch war, sie weiß es bis heute. »Sie hatte einen unglaublichen Einfluss auf mich«, sagt ihre Tochter und nimmt einen Schluck Kaffee »Sehen Sie hier die weiße Tasse. Wenn Mutter nur mit genügend Nachdruck dabei blieb: Diese Tasse ist schwarz! – dann glaubte ich am Ende auch, dass die Tasse schwarz sei.« Erst seit einigen Jahren, fährt sie fort, habe sie gelernt, sich besser von ihr abzugrenzen. Allerdings: »Niemand kann mich so verletzen wie sie. Bis heute ist das so. Darum bin ich ihr gegenüber immer auf der Hut. Wenn ich sie besuche, gucke ich, wie die Stimmung ist. Wenn ich merke, die Zeichen stehen auf Unwetter, lasse ich innerlich die Rollos runter und verabschiede mich [77] schnell wieder.« Zu ihrem Vater dagegen habe sie ein entspanntes Verhältnis. »Es existieren schöne Fotos von Vater und mir, als ich noch klein war. Seine Augen glänzen, meine Augen glänzen. Solche Fotos gibt es von mir und meiner Mutter nicht.«
Monika erinnert sich gern daran, wie es war, wenn sie den Vater nach der Schicht am Zechentor abholte. Er kam auf den Hof in einem Pulk anderer Kumpel, alle mit schwarzgeränderten Augen, dann erblickte er seine kleine Tochter, sein Gesicht strahlte, und er hob sie auf den Arm. »Vater war sehr lustig. Er hat gern Leute um sich gehabt, er hat gern gefeiert. Er liebte meine Mutter sehr, ich glaube, er tut es bis heute. Als Kind habe ich immer gedacht: Meine Eltern lieben sich. Ich muss mir keine Sorgen machen, bei uns gibt es keine Scheidung.« Heute glaubt Monika, ihr Vater konnte seine Frau nicht glücklich machen – egal wie viel Mühe er sich gab: Sie war und ist jemand mit einer tief sitzenden Lebensunzufriedenheit und einem Grundmisstrauen gegenüber Männern.
Als sie ihren fröhlichen Vater verlor
Monika verlor ihren fröhlichen Vater, als sie 11 Jahre alt war. Er starb nicht, er ging auch nicht fort. Er baute ein Haus. Er tat es, weil seine Frau es sich sehnlichst wünschte. Wäre es nur nach ihm gegangen, glaubt seine Tochter, hätte die fünfköpfige Familie weiter in der kleinen Dreizimmerwohnung gelebt. Aber seine Frau wollte, wie sie sagte, »endlich aus dem Elend raus«. Sie wollte ein eigenes Haus. »Ich verstehe sie heute auch«, sagt Monika Eichberg. »Es war wirklich furchtbar eng. Wir Kinder mussten uns ein Zimmer teilen, und Oma kam auch noch jeden Tag.« Doch mit der Schuldenlast des Eigenheims verließ Wolf Kasza die Lebensfreude. Nun hieß es nur noch: sparen, sparen, sparen. Man durfte sich nichts mehr gönnen, keinen Urlaub, kein Fest. Die Kinder wurden noch knapper gehalten [78] als es vorher schon der Fall gewesen war. Wenn sie sich darüber beschwerten, meinte Mutter Klara, sie hätten dankbar zu sein, dass es ihnen so gut ginge, sie hätten ja keine Ahnung, was schlechte Zeiten bedeuteten …
Wolf Kasza war vom Vater zum Heimwerker geworden. Er nahm seine Kinder kaum noch wahr. Mit 50 Jahren häuften sich bei ihm depressive Verstimmungen, die in den vergangenen Jahren noch erheblich zugenommen haben. Dennoch, versichert seine Tochter, sei er weiterhin im Vergleich zur Mutter der Optimistische, und sie verdanke ihm viel. »Er hat mir als Kind vermittelt, dass man Freude am Leben haben soll und dass man sich nicht unterkriegen lassen darf. Mutters Botschaft dagegen lautete: Bloß nicht auffallen. Bloß keine Veränderung. Bloß nichts riskieren. Bloß nicht sich wehren. Andere sind immer stärker. Man kann ja doch nichts machen!«
Monika Eichberg glaubt, ihre Mutter habe sich – im Unterschied zum Vater – nie vom Verlust der Heimat und von ihren Erlebnissen während der Flucht erholt. Die Beschimpfungen, mit denen sie als Flüchtlingskind im Westen empfangen wurde – »Da kommen die Polacken!« – haben sich tief eingebrannt. Daher auch ihre lebenslange Haltung: Lieber leiden, als den Leuten Anlass zu Klatsch geben.
Als Monika sich von ihrem Mann trennte, kam nur Beistand von ihrem Vater. Sie hatte eine unrenovierte Wohnung gemietet und wollte sie nach und nach herrichten. Wolf Kasza aber meinte, seine Tochter brauche eine schöne Umgebung, in der sie sich von Anfang an wohl fühle. Gemeinsam setzten Vater und Tochter die Wohnung in Stand. Sie brauchten dafür drei Wochen – für beide eine gute Zeit. Allerdings entspricht es bis heute nicht seiner Art, Monika mit Worten zu verteidigen, wenn sich seine Frau wieder einmal über ihre Tochter aufregt.
Nie wieder kehrte Klara Kasza nach Ostpreußen zurück. Als Verwandte
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