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Kriegsenkel

Kriegsenkel

Titel: Kriegsenkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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und dass sie von ihrer Familie getrennt lebte. Viele Jahre hatte sie gebraucht, um sich zu dieser Entscheidung durchzuringen. Wie nicht anders zu erwarten, hörte die Mutter nicht auf, der Tochter deshalb Vorwürfe zu machen und sie zu drängen, zu ihrer Familie zurückzukehren.
    Monika Eichberg betonte mir gegenüber, ihren Mann zu verlassen, um ihr eigenes Leben zu führen, sei der beste Entschluss ihres Lebens gewesen. Dann fielen einige Sätze, die mich im ersten Moment überraschten. »Er ist zwanzig Jahre älter als ich – ein typisches Kriegskind, wenn Sie wissen, was ich meine. Ich habe schon früh gespürt: Mit ihm wollte ich nicht alt werden.« Als ich mich von ihr verabschiedete, bat ich sie um ihre Telefonnummer in der Hoffnung, sie für mein Buchprojekt zu gewinnen.
    Frisch verliebt
    Acht Wochen später kommt es zu einem Treffen in ihrer Düsseldorfer Wohnung. Mir fällt sofort auf, wie stark sie abgenommen hat, was sie vergnügt bestätigt. »Ich hab mich verliebt. Endlich! Jetzt geht’s bergab mit den Pfunden.« Wir gehen zum Wohnzimmertisch, und während ich mich umschaue, fällt mir auf, wie unterschiedlich die Mehrzahl der Kriegskinder im Vergleich zu den Kriegsenkeln eingerichtet sind: dort die mit Möbeln voll gestellten Räume, die Teppiche, die vielen Bilder und Bildchen an den Wänden, und hier die gezielte, eher sparsame Ausstattung, schlichte, klare Formen, weiße Bücherregale, viel [75] freie Fläche, keine Vorhänge, Holz- oder Parkettboden. Bei ihr handele es sich aber um Laminat, sagt meine Gastgeberin. Grundsätzlich stimmt sie mir zu: Ihre Eltern umgäben sich mit Deutscher Eiche, mit »Gelsenkirchener Barock« – falls ich mir etwas darunter vorstellen könne. Dann erfahre ich, wie wenig sie sich in ihrem eigenen Haus wohl gefühlt habe, zwischen dunklen, wuchtigen Möbeln, die noch von den Schwiegereltern und der verstorbenen Schwägerin stammten. »Es gab Phasen, da hätte ich am liebsten die Kettensäge genommen«, bricht es aus ihr heraus. »In dieser Frage kam überhaupt kein Verständnis von ihm.« Ich bin überrascht. Die Frau, die mir gegenübersitzt, strahlt soviel Kraft inklusive Überzeugungskraft aus, dass ich mir ein Unterliegen in Einrichtungsfragen überhaupt nicht vorstellen kann.
    Im Laufe des Gesprächs wird deutlich: Monika Eichberg war auch in ihrem früheren Leben eine resolute Frau, die mit Umsicht und Sparsamkeit ihre Familie managte. Aber in wesentlichen Punkten, die ihre eigenen Interessen betrafen, fehlte es ihr an Durchsetzungskraft. Ihr Mann – genauso wie ihre Mutter – schien stets besser zu wissen als sie selbst, was gut für sie war. »Dagegen kam ich nicht an. Ich dachte immer, ich bin verkehrt. Ich hatte Angst verrückt zu werden, denn ich stand mit meinen Ansichten und Wünschen völlig allein da. Das kenne ich schon seit meiner Kindheit und Jugend.« Zum Beispiel hatte sie nach der Schule die Höhere Handelsschule besuchen wollen – mit dem Traumziel Chefsekretärin. Doch ihre Mutter, die damals als ungelernte Verkäuferin in einer Metzgerei arbeitete, wollte davon nichts wissen. Der Friseur nebenan suchte ein Lehrmädchen, und sie hatte ihm schon zugesagt, die Tochter zu schicken. Monika gehorchte.
    [76] Du weißt gar nicht, wie gut du es hast
    Ihre Eltern, Klara und Wolf Kasza*, sind beide Flüchtlingskinder; sie stammt aus Ostpreußen, er aus Schlesien. Klara, 1940 geboren, verbrachte ihre Kindheit in der Nähe von Insterburg. Die Familie lebte von einer kleinen Landwirtschaft, die der Vater gepachtet hatte. Über die Flucht und die Folgen der Flucht sprach Klara Kasza als erwachsene Frau nur noch in Andeutungen. Tochter Monika hat die wenigen Sätze ihrer Mutter noch genau im Ohr – sie klangen wie Vorwürfe: »Du weißt gar nicht, wie gut du es hast. Du weißt gar nicht, wie schlimm das damals alles war – auch die Ankunft in Westdeutschland, wo uns keiner haben wollte …«
    Klara Kaszas Haltung war: So schlecht, wie es ihr selbst ergangen war, konnte es ihren drei Kindern gar nicht gehen. Einmal hatte Monika nach einem Sturz beim Rollschuhlaufen große Schmerzen im Arm. Die Mutter meinte, es sei nichts Auffälliges zu sehen. »Aber mein Arm tut so weh!« »Ach was, stell dich nicht so an!« Abends ging der Vater mit dem Kind ins Krankenhaus – der Arm war gebrochen. Monika ergänzt: »Mutter hat uns auch mit hohem Fieber in die Schule geschickt. Das gab’s nicht, dass man im Bett liegen blieb.«
    Klara Kasza wusste immer, was

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