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Kriegsenkel

Kriegsenkel

Titel: Kriegsenkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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Unsicherheit, ob sie wirklich die richtige Entscheidung getroffen habe. Der Widerstand von Seiten des Mannes, der Kinder und natürlich ihrer Mutter muss enorm gewesen sein. Hauptvorwurf: Sie denke nur an sich, sie sei egoistisch, sie sei verantwortungslos. Aber letztlich ließ sich Monika Eichberg nicht mehr beirren. Sie fand Unterstützung bei ihrer Lieblingstante und bei einer erfahrenen Psychotherapeutin. »Ich kam aus einem Milieu, in dem so [84] etwas wie Therapie unbekannt ist«, erklärt sie mir. »Dass ich dann doch über meinen Schatten gesprungen bin und mir Hilfe geholt habe, hatte aber nichts mit meinem Unabhängigkeitsdrang zu tun, sondern mit meiner zwölfjährigen Tochter. Eines Tages war mir aufgefallen: Ich behandele Julia genauso wie früher meine Mutter mich. Ich mache sie genauso mit Worten nieder! Wenn ich stark unter Stress stand, habe ich kein gutes Haar mehr an Julia gelassen. Sie diente mir als Blitzableiter.«
    Der jugendliche Sohn rastet aus
    Monika Eichbergs Geschichte ist auch die Geschichte ihrer Kinder. Da ist der Älteste, Oliver, inzwischen 25 Jahre alt. Wie seine Mutter es beschreibt, haben sie heute eine gute Beziehung, aber das ist eine relativ neue Entwicklung. »Früher kriegte ich keinen Draht zu ihm«, bekennt sie. Oliver sei als Kind und Jugendlicher sehr angepasst und zurückhaltend gewesen. Kurz vor seinem Abitur äußerte der Sohn Suizidgedanken. Seine Freundin hatte ihn verlassen und war nun mit einem seiner besten Freunde zusammen. Also hatte er gleich zwei wichtige Menschen auf einen Schlag verloren. Seine Eltern wollten ihn trösten, sie wollten ihm helfen, aber sie bekamen keinen Kontakt zu ihm. Dann kam der Tag, als er seine Zimmereinrichtung kurz und klein schlug. Dabei entwickelte er Bärenkräfte. Niemand konnte ihn bremsen. Sein Vater wollte ihn in die Psychiatrie einweisen lassen. Er hatte schon den Telefonhörer in der Hand – da griff Monika ein. »Ich wusste, die Klinik wäre für meinen Sohn genau das Verkehrte gewesen. Und inzwischen ließ ich mir auch nichts mehr ausreden, wenn ich etwas als richtig empfand. Als Oliver sich ein bisschen beruhigt hatte, sagte ich: Ich werde Dir helfen. Ich weiß zwar noch nicht, wie, aber ich werde Dir helfen. Das geht aber nur, wenn auch du wirklich Hilfe willst.« Ihr Sohn zögerte, es ging noch einige [85] Male hin und her, schließlich willigte er ein. Monika Eichberg fand einen Psychotherapeuten, der Oliver nach kurzer Zeit aus seiner Krise hinausführte. »Und ich saß derweil bei meiner Therapeutin«, erzählt die Mutter, »denn ich wollte begreifen, was mit meinem Sohn und mir schief gelaufen war.« Das Drama mit ihrem Ältesten ereignete sich während einer Zeit, als sie immer wieder mit dem Gedanken spielte, ihren Mann zu verlassen, aber glaubte, sie dürfe es ihren Kindern nicht antun. Sie entschied damals, noch sieben Jahre zu warten, bis der Jüngste sein Abitur bestanden hatte.
    Ihre Beziehung zu Marcus, erklärt sie, sei immer schon eine besondere gewesen. Er, das Sorgenkind der Familie, habe von Anfang an eine labile Gesundheit gehabt. Mit fünf Jahren wurde bei ihm eine Wachstumsstörung diagnostiziert – da war er kleiner als üblicherweise ein Vierjähriger. Den Eltern wurde von Fachärzten vorausgesagt, das Kind werde weiterhin zu langsam wachsen, aber in späteren Jahren alles nachholen. Als Jugendlicher schien Marcus mit 1,60 Meter das Äußerste erreicht zu haben.
    Zu diesem Zeitpunkt merkte Monika: Sie konnte das stumme Versprechen, das sie ihren Kindern gegeben hatte, nicht mehr einhalten. Inzwischen war sie finanziell unabhängig. Sie hatte ihr Studium abgeschlossen und als Diplomkauffrau eine gute Stelle in einem internationalen Konzern gefunden. Schnell stieg sie dort auf. Auch wurde sie in den Betriebsrat gewählt. Doch gesundheitlich ging es ihr immer schlechter; Rückenbeschwerden, Migräne und eine Gebärmutterentzündung, die chronisch zu werden drohte. Monika Eichberg erzählt: »Eines Tages war mir klar, ich muss gehen! Sonst werde ich ernsthaft krank – sonst gehe ich drauf!« Wie nicht anders zu erwarten, habe ihr die Mutter die Hölle heiß gemacht. »Allerdings sehe ich auch«, sagt Monika, » wie fassungslos sie vor meinem Entschluss stand und dass sie sich furchtbare Sorgen machte. Ich kann meine Mutter heute in ihrem ganzen Elend erfassen. Da blutet mir [86] manchmal das Herz. Ich sehe das ganze eingeschränkte Leben in ihrem Gesicht. Mehr konnte sie daraus nicht machen. –

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