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Kriegsenkel

Kriegsenkel

Titel: Kriegsenkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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Mama!
    Kein Wunder also, dass Isabell Kramp, als sie sich endlich entschieden hatte, ihren Mann zu verlassen, in einem erbärmlichen Zustand war. Kein guter Zeitpunkt, ihre Mutter zu sehen – es geschah aber dennoch, Inge Kramp hatte Sehnsucht nach ihren Enkeln. »Sie sah, wie schlecht es mir ging«, erzählt die Tochter. »Sie saß hier am Tisch und gab mir zu verstehen: Nun funktionier doch bitte wieder. Man kann doch nicht die Familie auseinander reißen … Da sagte ich: ›Ich hätte mir so gewünscht, du hättest einmal nachgefragt und ich hätte von dir gehört: Ich sehe, es geht dir nicht gut. Lass uns ehrlich darüber reden. – Ich bin doch deine Tochter, Mama!‹ Da hatte ich sie ganz kurz getroffen. Sie bekam feuchte Augen und hat zu Boden geguckt. Vielleicht würde sie mir gern nahe sein, aber sie kann [70] es einfach nicht. Danach hat sie mir umgehend einen Eheratgeber geschickt. Den habe ich weggeworfen, was für mich ein großer Schritt ist«.
    Keine Frage, Natalie und Isabell lieben ihre Mutter. »Es tut uns weh zu sehen, wie traurig ihr Leben eigentlich ist, das ungelebte Leben.« sagt Natalie. »So, wie sie selbst nicht für sich sorgen kann, damit es ihr besser geht, so konnte sie auch für uns nicht sorgen. Es ging ihr immer nur um das materielle Wohlergehen. Sie hat nie nach unseren psychischen Bedürfnissen geschaut. Sie konnte uns nicht wirklich wahrnehmen. Nein, das konnte sie einfach nicht.« Die beiden Schwestern mit den sanften Stimmen sind an einem ähnlichen Punkt angelangt. Sie spüren: Sie müssen ihr Leben endlich in die Hand nehmen, sie müssen die Burg – die Metapher für blockiertes Leben – hinter sich lassen.
    Sie dürfen nicht mehr darauf warten, dass ihnen die Mutter dazu den Segen gibt. Und genau das fällt ihnen unendlich schwer. Wenn sie ihr Glück suchen, bedeutet das für die Mutter Unglück: Wer die Burg verlässt, bedroht den Zusammenhalt der Familie. Den Schwestern kommt es häufig wie Verrat vor, wenn sie ausprobieren, wie es sich anfühlt, auf eigenen Füßen zu stehen und ihre Bedürfnisse wahrzunehmen. Doch sie haben festgestellt, es tut ihnen gut, und es kann ihnen gelingen, solange sie sich weiterhin gegenseitig den Rücken stärken. »Hallo Partner! – »Hallo Partner!«

[71] Viertes Kapitel
    DER LANGE WEG ZUR EIGENEN IDENTITÄT

[73] Ein Fest mit Bergmannstradition
    Es war an einem Sonntag im Frühling. Ich wollte ein Bergwerksmuseum im Ruhrgebiet besuchen. Als ich aus dem Auto stieg, hörte ich Musik. Auf dem ehemaligen Zechengelände wurde gefeiert. Eine Bergmannskapelle spielte »Glück auf, Glück auf, der Steiger kommt«. Auf dem Hof vor dem Grubeneingang saßen die Gäste an langen Tischen. Man trank Bier und aß Würstchen mit Kartoffelsalat. Einige ältere Männer waren in traditioneller Tracht erschienen: schwarzer Kittel und hoher Hut mit Federbusch. Das Ganze hatte die Atmosphäre eines großen Familienfestes. Ich besorgte mir eine Tasse Kaffee und setzte mich dazu. Rechts von mir erzählten weißhaarige Männer von früher, von der Arbeit unter Tage, links beschrieb jemand, wie herrlich dieses Jahr der Salat in seinem Schrebergarten gedeihe. Mir gegenüber saß eine rundliche Frau in den Vierzigern. Das rotbraun gefärbte Haar und der freche Fransenschnitt standen ihr gut. Sie war die auffälligste Person am Tisch. Mit ihrem erkennbar teuren, hellgrünen Blazer hob sie sich optisch deutlich von den anderen Frauen des Ruhrgebiets ab. Dennoch gehörte sie dazu, denn sie duzte jeden links und rechts und quer über den Tisch. Mir, der Ortsfremden, erklärte sie, dieses Fest sei vor etlichen Jahren mit der Eröffnung des Museums entstanden, seitdem käme man jedes Jahr im Mai zusammen. »Sie wissen ja, wie traditionsbewusst wir im Pütt sind«, sagte sie. Ihr Vater habe hier als einfacher Bergmann gearbeitet. »Die Grube ist ein Teil meiner Heimat. Die schwarzen Männer hatten für mich als Kind immer etwas Vertrauenswürdiges.« Sie war stolz auf ihre Herkunft.
    Monika Eichberg* – so hieß die Frau – redete gern und offen heraus. Ich erfuhr, sie wohne inzwischen in Düsseldorf, aber [74] das Fest sei ihr wichtig, sie komme jedes Jahr, genau wie ihre Eltern. Aber diesmal sei ihre Mutter in grässlicher Stimmung, also habe sie sich weggesetzt. »Wenn ich sie treffe, sehe ich schon an ihren Mundwinkeln, es wird Stress geben. Heute bin ich doch lieber an einen anderen Tisch gegangen.« Es stellte sich heraus, dass Monika Eichberg drei Kinder hatte

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