Kriegsenkel
Bindungsmusters – eine der Grundlagen seiner psychischen Stabilität. Emotionale Offenheit, was versteht man darunter? Die Münchner Kinderpsychiaterin Mechthild Papoušek zählt auf: »Sich auf die Entwicklung und die Erfahrungswelt des eigenen Kindes einlassen; sich von seinen Signalen, Interessen, Vorlieben, Freuden und Kümmernissen leiten lassen; sich dabei auf die eigenen intuitiven Kompetenzen verlassen; sich zu Spiel und Erfindungslust mit dem Baby verführen lassen; und bei all dem mit dem Baby sprechen.« 14
Davon war Monika Eichberg als junge Mutter weit entfernt. Aber sie holte sich Hilfe und erfuhr: Menschen sind nicht nur intellektuell entwicklungsfähig, sie können auch emotional erwachen und damit wachsen. Heute ist Monikas Mutterliebe voll aufgeblüht. Sie sagt: »Wenn ich meine Kinder sehe, geht mir das Herz auf.«
Vor drei Jahren ist Monika Eichberg ausgezogen. Ihre Kinder blieben mit dem Vater im Haus wohnen. Der glaubt bis heute fest an einen vorübergehenden Zustand. Er zweifelt nicht daran, dass seine Frau zurückkehren wird. Im unserem Gespräch spricht sie von ihrem »Ex-Mann«. Sie ist längst woanders, sie lebt in einer Welt, zu der Manfred Eichberg keinen Zugang hat. Monika will grundsätzlich nicht viel über ihn sagen, schon gar [82] nichts Schlechtes. Das große Missverständnis ihrer Ehe beschreibt sie so: Sie wollte einen Mann – er wollte Kinder. »Unsere Kinder konnten keinen besseren Vater haben. Er hat viel zu Hause gearbeitet, und sich deshalb viel um sie kümmern können.« Als sich Monika nach dem dritten Kind gegen seinen Willen sterilisieren ließ, verlor er das sexuelle Interesse an ihr. Lange Zeit hatte Monika gedacht, ihre Ehe sei noch zu retten, und so war es zu einer Serie von begleiteten Paargesprächen gekommen. Sie erzählt: »Die Therapeutin hatte meinem Mann eindringlich Ihr Buch über die Kriegskinder, über die ›vergessene Generation‹ ans Herz gelegt. Er hat es nicht angerührt. Aber ich habe es gelesen! Das hat mir die Augen geöffnet. Ich begriff, dass ich mich von zwei Kriegskindern gängeln ließ – von meinem Mann und von meiner Mutter – von zwei Traumatisierten, die selbst ein sehr eingeschränktes Leben führten, aber immer wussten, was gut für mich war.«
Manfred Eichberg überlebte als Vierjähriger im Sommer 1943 die »Operation Gomorrha«, die verheerenden Luftangriffe auf Hamburg. Man zählte 35 000 Tote, über 100 000 Verletzte, eine Million Obdachlose. Unter der Bezeichnung »Feuersturm« ging die Katastrophe in die Stadtgeschichte ein – die tiefste Zäsur des 20. Jahrhunderts. Zu den Ausgebombten zählte Familie Eichberg, wie auch der spätere Liedermacher Wolf Biermann. Er, nur wenige Jahre älter als Monikas Ehemann, sang darüber in seiner »Ballade von der Elbe bei Hamburg«. In dem Lied heißt es: »Genau auf Sechseinhalb blieb meine Lebensuhr da steh’n.« Biermann fühlte sich offenbar von der Katastrophe ein Leben lang verfolgt.
[83] Ein neues Ziel: Abitur
Mit Anfang 30 verdüsterte sich Monikas Lebensfreude, die sie dem lustigen Vater ihrer Kindheit verdankte. Nach und nach wuchs in ihr eine Frage, bis sie nicht mehr zu überhören war: Brauchte sie vielleicht mehr als einen Alltag mit Haushalt und Kindern? Sie wollte nicht den Weg ihrer Mutter gehen, den Weg des Leidens, worüber diese nie aufgehört hatte zu klagen. Heute, da sich Monika Eichberg einiges Wissen über das Erbe von Familienmustern angeeignet hat, will sie auch nicht ausschließen, dass sie unbewusst den Spuren der recht unkonventionellen Großmutter väterlicherseits folgte, die wegen ihres eigenwilligen Lebenswandels keinen guten Ruf in der Familie hatte.
Wie auch immer: Als Monikas jüngstes Kind fünf Jahre alt war, überraschte sie ihren Mann mit dem Wunsch, sie wolle das Abitur nachholen. Weiter dachte sie damals noch nicht. Es ging ihr zunächst nur um eines: um Veränderung. Sie wollte frische Luft in ihr Leben hineinlassen. Drei Jahre lang war Monika Mutter, Hausfrau und Abendschülerin. Nach dem bestandenen Abitur begann sie ein Studium der Betriebswirtschaft. Ehemann und Mutter verstanden ihren Schritt nicht. Sie meinten, Monika könne doch, wenn sie sich langweile, wieder halbtags als Friseurin arbeiten.
Mir gegenüber möchte sich Monika Eichberg nicht länger als nötig mit Schilderungen der Hindernisse aufhalten, die sich ihr in den Weg stellten, und der vielen Tiefs, die sie durchlitt – begleitet von einer ständigen Angst und
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