Kriegsenkel
erzählten, ihnen hätte ihre Reise in die alte Heimat gut getan, wollte Monikas Mutter nichts davon hören. Niemals, [79] sagte sie, werde sie dorthin fahren und sich den Erinnerungen an so viel Schreckliches ausliefern. Ihre Tochter, die sich in den vergangenen Jahren viel mit dem Thema Trauma auseinandergesetzt hat, stellt sich vor, dass die Mutter als kleines Kind in Ostpreußen mit viel Gewalt konfrontiert wurde, dass sie erlebte, wie Frauen von Rotarmisten vergewaltigt wurden. »Denn Mutter hat bis heute keine Worte für ›das Schreckliche‹ gefunden. Sie misstraut Männern grundsätzlich. Zu leiden ist für sie etwas völlig Normales. Sie vermeidet jede Veränderung in ihrem Leben.«
Ein fürsorglicher Ehemann
Monika Eichberg, 1961 geboren, lernte mit 18 Jahren ihren späteren Mann kennen. Natürlich bemerkte sie das Interesse des Kunden, der regelmäßig in den Friseursalon kam, doch bei ihr selbst funkte nichts. Er ist mir zu alt, dachte sie. Aber da er ausdauernd und unaufdringlich um sie warb, begann sie, ihn als einen ausgesprochen netten und zuverlässigen Mann zu schätzen. Dennoch blieb Monika reserviert. Schließlich nahm der Diplomingenieur ein interessantes Arbeitsangebot in Süddeutschland an. Manfred Eichberg* schrieb ihr charmante Briefe, und wenn er gelegentlich in seinem Heimatort seine Eltern besuchte, sorgte er für eine Verabredung mit der jungen Friseurin. Nach zwei Jahren kehrte er zurück und machte Monika einen Heiratsantrag. Da funkte es auch bei ihr. Ein Jahr später wurde geheiratet. Sie war jung und dachte, sie hätte das große Los gezogen: ein liebevoller, fürsorglicher Mann, Akademiker zudem. Sie glaubte, er kenne sich aus im Leben und werde ihr die Welt zeigen. »Er war mein erster Mann«, sagt sie. »Es bereitete mir irgendwie Sorgen, weil ich mit über 20 immer noch keinen Sex hatte. Heute weiß ich: Meine Weiblichkeit war völlig unterentwickelt. Manfred aber konnte ich vertrauen. Ein erfahrener Mann. Ich war schrecklich verliebt.«
[80] Ein Jahr nach der Hochzeit wurde ihr erster Sohn geboren. Da war sie 22 Jahre alt. Ihr wurde ein Bündel in den Arm gedrückt, und sie wartete darauf, dass ihr warm ums Herz würde. Aber sie empfand keine Mutterliebe. »Das sollte doch angeblich der allerschönste Moment im Leben einer Frau sein«, beschreibt sie ihre Situation. »Mein Mann dagegen war völlig high! So glücklich hatte ich ihn noch nie erlebt.« Sie dachte damals: Vielleicht bin ich einfach zu jung. Vielleicht kommt die Mutterliebe von selbst, wenn der Kleine und ich uns erst einmal aneinander gewöhnt haben. Es passierte aber nicht. »Ich bekam noch zwei weitere Kinder. Mit ihnen war es ein wenig besser, würde ich sagen. Ich habe alles für meine Kinder getan, aber ich habe keine wirklich tiefe Beziehung zu ihnen bekommen.«
Heute besteht für sie kein Zweifel: Ihre Muttergefühle waren deshalb so gedämpft, weil sie als Kind einer traumatisierten Mutter selbst auch nichts Besseres kennen gelernt hatte. Eine Psychotherapie, die sie mit 35 Jahren begann, und die Lektüre von Fachliteratur haben Monika Eichberg geholfen, zu verstehen, in welchem Ausmaß unverarbeitete Kriegserlebnisse noch zwei Generationen später nachwirken können.
Besonders interessierten sie in diesem Zusammenhang die frühkindlichen Bedürfnisse, wie sie in der Entwicklungspsychologie beschrieben werden. Dabei ist sie auf die Arbeit des Bindungsforschers Karl Heinz Brisch gestoßen. Er schreibt: »Eine Voraussetzung für eine gesunde Entwicklung zwischen Eltern und Kind ist die Verarbeitung von elterlichen Traumatisierungen aus der eigenen Kindheitsgeschichte.« 11
Haben Eltern ihre seelischen Verletzungen nicht verarbeitet, dann kann es, wie Brisch betont, zu einer »transgenerationalen Weitergabe von traumatischen Erfahrungen führen, auch wenn die nachfolgende Generation selbst keinen derartigen Traumata ausgesetzt war.« 12 Die Folgen können also für Kinder der Kriegskinder gravierend sein. »Alte Traumatisierungen von Vater [81] und Mutter führen regelmäßig dazu, dass sie mit dem Säugling reinszeniert werden. Dies kann zu Fütterstörungen, Schlafstörungen, zu aggressiven Auseinandersetzungen bis hin zu Gewalt führen.« 13
Was ist emotionale Offenheit?
Eltern, die sich von schweren seelischen Verletzungen nicht erholt haben, sind in der Regel nicht in der Lage, auf ihren Säugling emotional offen zu reagieren. Aber genau das braucht ein Kind für den Aufbau eines sicheren
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