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Kriegsenkel

Kriegsenkel

Titel: Kriegsenkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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Mutter Fragen, die ungefähr so lauteten: »Sie« – er war 16 Jahre alt – »machen also eine Ausbildung als Elektriker?« Danach verzichtete ich auf weitere Vorstellungen meiner Freunde.
    Wenn mein Vater, der tagsüber arbeitete und dadurch auch der alltäglichen Erziehung auswich, abends nach Hause kam, trug er eine entspannte und geistvolle Stimmung in die Familie. Ich aber erlebte während seiner Abwesenheit das Gegenteil, denn ich war den Erziehungsmethoden meiner Mutter ausgeliefert. Und das hieß überwiegend: Druck ausüben. Sie hatte keinen anderen Erziehungsstil zur Verfügung. Alles wurde mit Druck umgesetzt, selbst die Suche nach Hobbys oder nach anderen eigentlich schönen Dingen des Lebens. Anstatt mich zu animieren, mir Dinge schmackhaft zu machen, versuchte meine Mutter alles mit unerbittlicher Konsequenz durchzusetzen. Wenn ich mich weigerte und meine Mutter stur blieb, kam es zu heftigen Auseinandersetzungen. Sätze wie: »Du räumst jetzt Dein Zimmer auf!« oder »Du kommst jetzt mit!« waren an der Tagesordnung. Ich galt als »überempfindlich« und wenn ich bedrückt und traurig war, hieß es: »Stell Dich nicht so an. Du bist übersensibel.«
    Aus heutiger Sicht denke ich, meiner Mutter wäre es das Liebste gewesen, wenn ich wie eine Maschine, wie eine Tochterhülle funktioniert hätte. Alle tiefer gehenden Gefühle, Probleme und Zwiespälte wurden mit einer schroffen Art zurückgewiesen, und, bevor sie überhaupt angesprochen werden konnten, mit Ignoranz weggedrückt. Unser Familiensystem funktionierte aber dennoch recht gut, weil wir als Ausgleich zu dem Druck und den Streitereien gemeinsam viel Humor entfalten konnten. Mein Vater war ein sehr geselliger Mensch mit [165] guter Beobachtungsgabe und brachte uns mit seinen Anekdoten oft zum Lachen. Meine Mutter konnte sich in seiner Gegenwart entspannen und zeigte dann auch einen angenehmen, ja sogar charmanten Charakter. Zudem hatten wir drei Geschwister eins gelernt: zusammenzuhalten! Wir haben uns immer gegenseitig geschützt und vor Angriffen verteidigt, das hat mir viel Kraft und Halt gegeben.
    Ich bin überzeugt davon: Vor allem meine Mutter trug in sich die große Angst, sie könne zu kurz kommen. Sie versuchte, diese Angst mit materiellen Anschaffungen zu kompensieren. Für Kunstgegenstände, Porzellan und andere ›wertvolle‹ Dinge wurde überproportional viel Geld ausgegeben, während ich schon früh lernen musste, mit wenig auszukommen. Ich wurde kurz gehalten. Ich habe als Kind immer komische Klamotten tragen müssen, immer Klasse B, während meine Eltern mit einer von mir nie angezweifelten Selbstverständlichkeit durch Anschaffungen versuchten das auszugleichen, was sie in ihrer Kindheit entbehren mussten.
    Meine Familienposition war zudem nicht günstig. Meine beiden älteren Geschwister hatten nie Lust, mit mir zu spielen. Sie mussten mich durch Anweisung der Eltern notgedrungen in die Spiele einbeziehen. Ich habe das prägende Gefühl eingeimpft bekommen, langweilig zu sein. Die Beziehung zu meinen Geschwistern änderte sich zwar später, das Urgefühl aber, lästig zu sein, ist geblieben.
    Eine übergroße Bescheidenheit
    Die Konsequenz aus diesen Zusammenhängen ist, dass ich unmäßig bescheiden bin und mir ganz selten etwas ›materiellen Luxus‹ gönne. Diese Bescheidenheit ging so weit, dass ich fand, ich dürfe nur einen winzigen Teil dieser Erde beanspruchen. Es war so, als lebte ich mit zwei gepackten Koffern links und rechts [166] neben mir – immer bereit, die Erde ohne großen Aufwand zu verlassen. Ich trage heute noch tief im Inneren einen großen Minderwertigkeitskomplex und habe mich jahrelang vernachlässigt.
    Ich glaube, am meisten belastet mich noch heute, dass ich nicht wirklich von meinen Eltern wahrgenommen wurde. Ihr Desinteresse prägte in mir das Gefühl: Ich bin es nicht wert, dass man mir Beachtung schenkt, und meine Freunde und Partner sind es noch weniger, denn über sie wurden oft abfällige Bemerkungen gemacht. Ich habe diese Abwertung dann mir selbst zugefügt, in dem ich mich durch Verzicht und grenzenlose Hilfsbereitschaft fast aufgegeben habe. Anderen gegenüber empfinde ich ein schmerzhaftes Mitgefühl, meine eigene Lebensenergie habe ich allen zur Verfügung gestellt und jeder, der wollte, konnte sich mit vollen Händen an ihr bedienen.
    Schon während meines Studiums der Geschichte und Philosophie, das sieben Jahre dauerte, als ich in meiner Wohnung mehr fernsah als an der Uni

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