Kriegsenkel
gemacht, dass es immer nur um sie geht: um ihre materielle Absicherung, ihren Urlaub, ihr Glück und ihr Leid. Dabei haben sie gar nicht gemerkt, wie sie die Grenzen anderer missachten. Das Bedürfnis nach materieller Absicherung ist für [169] diese Generation so groß, dass sie panisch und wie im Rausch alle finanziellen Möglichkeiten, die es in diesem Staat zu holen gibt, an sich rafft und nicht imstande ist, zu sehen, dass sie dadurch ihren Nachkommen ein Land hinterlässt, in dem man sein Leben weitaus bescheidener gestalten muss, um zurecht zu kommen.
Sich mit Geld betäuben
Die meisten Angehörigen der Kriegskindergeneration sind nach wie vor davon überzeugt, sie haben uns die beste und schönste Kindheit geschenkt und weigern sich, einzugestehen, dass man die Schatten auf der eigenen Seele nicht mit Geld betäuben oder mit Desinfektionsmitteln wegscheuern kann.
Mehr als zehn Jahre meines Lebens habe ich gebraucht, um die Ursachen meiner Destruktivität herauszufiltern. Dieser Ablösungs- und Abgrenzungsprozess hat mich viel Kraft gekostet – Kraft, die die Großeltern- und Elterngeneration nicht aufgebracht hat. Kraft, die ich aufwenden musste, ihre Traumata von meinen eigenen Erfahrungen zu entwirren und zu trennen, um frei atmen zu können. Es war ein kompliziertes Unterfangen, mich von den belastenden Gefühlen zu befreien, die eigentlich gar nichts mit mir zu tun hatten und von denen ich nicht wusste, woher sie kamen. Ich konnte diese Gefühle nicht mit irgendeinem entsprechenden Erlebnis in Verbindung bringen, denn ich hatte ja, gemessen an meinen Eltern, nichts wirklich Schlimmes erlebt.
Weil ich diese destruktiven Gefühle nicht zuordnen konnte, habe ich sie mir selber zugeschrieben. Ich habe an meinem Charakter gezweifelt und mir Vorwürfe gemacht, so passiv und negativ zu sein. Dabei denke ich heute, wie einfach es meine Eltern mir hätten machen können, mich positiv zu bestärken und mir dadurch Ängste zu nehmen.
[170] Meine Mutter ist als Kind durch die Fluchterlebnisse und die Diskriminierung als Flüchtlingskind in Deutschland tief gedemütigt worden. Die daraus entstandene Frustration und das Minderwertigkeitsgefühl hat sie ungefiltert und unaufgearbeitet an mich weitergeleitet. Auch heute sehe ich in meiner Mutter das unglückliche Kind. Ich erkenne ihre erlittenen seelischen Schmerzen und habe neben viel durchlebter Wut auch Mitleid mit ihr. Mein Vater wurde nicht persönlich gedemütigt. Die Demütigung und Entwurzelung ist seinen Eltern widerfahren. Er selber hat jedoch diese Last tragen müssen und hat diesen Schmerz tief in seinem Herzen verborgen gehalten. Die nationalsozialistische Vergangenheit in der Familie meines Vaters wurde tabuisiert.
In meiner Familie mütterlicherseits ist viel über die Zeit in Polen und die Erlebnisse im und nach dem Krieg gesprochen worden. In meiner Jugendzeit wurden mir oft Schreckensgeschichten zugeraunt: von vergewaltigten Frauen in Polen nach dem Kriegsende, von mordenden Russen und Erschießungen von Familienmitgliedern. Schon früh habe ich Romane von Schriftstellern über die Thematik der ›Heimatvertriebenen‹ verschlungen. Die Literatur war im elterlichen Bücherregal in großer Zahl zu finden. Doch trotz des offenen Umgangs mit dem Thema ist es umso erstaunlicher, dass die persönlichen Traumata nicht angegangen wurden.
Wie sich Schatten verflüchtigen
Das Wesentliche, was ich aus meiner Familiengeschichte und der Beschäftigung mit der deutschen Geschichte gelernt habe, ist, dass alle Schicksale miteinander verbunden sind. Wir alle tragen das Glück und Unglück aller mit. Es ist ein fataler Trugschluss zu denken, dass man negative Energien aus der persönlichen Geschichte zuschütten kann, um sich von der Vergangenheit [171] zu trennen. Sie sprießen aus allen undichten Stellen und drängen unweigerlich an die Oberfläche. Wenn sie nicht im eigenen Leben ans Tageslicht kommen, werden die negativen Energien auf die nächste Generation übertragen.
Durch meine Hartnäckigkeit, mit der ich die Verkettung der verschiedenen Einflüsse schließlich entwirrte, habe ich gelernt, mein eigenes Leben zu verstehen. Ich habe gelernt, zu leben, weil ich dadurch meine Persönlichkeit entdecken konnte. Letztlich ist der Umgang mit den Schatten meines Lebens sehr erkenntnisreich und heilsam gewesen. Ich weiß, dass die Schatten sich verflüchtigen, wenn sie ans Tageslicht kommen. Eine tief sitzende Angst ist mir dadurch genommen worden, und der
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