Kriegsklingen (First Law - Band 1)
Stiefel waren fest damit ausgestopft. Den Rest hatte er sich unter seinem Mantel mehrfach um den Körper gewickelt. Die Decke roch zwar ekelhaft, aber sie hatte ihm letzte Nacht das Leben gerettet, und das war nach Logens Ansicht ein guter Handel. Sie würde noch sehr viel ekelhafter riechen, bevor er es sich würde leisten können, sich von ihr zu trennen.
Logen stolperte auf seine Füße und starrte in die Gegend. Ein enges Tal, umgeben von steilen Hängen, von Schnee fast erstickt. Es war von drei hohen Bergen umgeben, kantigen Spitzen aus dunkelgrauem Stein und weißem Schnee, die sich scharf gegen den blauen Himmel abzeichneten. Er kannte sie. Sie waren alte Freunde. Die einzigen, die er noch hatte. Er war oben bei den Hohen Höhen. Auf dem Dach der Welt. Hier war er sicher.
»Sicher«, sagte er krächzend zu sich selbst, aber ohne sich darüber besonders zu freuen. Sicher vor Nahrung auf alle Fälle. Sicher vor Wärme. Keines von beidem würde sich ihm hier oben aufdrängen. Den Schanka mochte er vielleicht entkommen sein, aber das hier war ein Ort für die Toten, und wenn er blieb, würde er bald auch einer sein.
Er war jetzt schon fürchterlich hungrig. Sein Magen war ein großes, schmerzendes Loch, das durchdringende Schreie zu ihm aussandte. Er suchte in seinem Rucksack nach dem letzten Streifen Fleisch. Ein altes, braunes, fettiges Stück, das wie ein dürrer Zweig aussah. Es würde das Loch kaum zu stopfen vermögen, aber mehr hatte er nicht. Er riss mit den Zähnen daran herum – es war zäh wie altes Stiefelleder – und würgte es mit etwas Schnee hinunter.
Dann beschattete er die Augen mit seinem Arm und sah das Tal hinunter gen Norden, woher er am Tag zuvor gekommen war. Das Gelände fiel gemächlich ab, Schnee und Fels wichen allmählich den kiefernbestandenen Flanken der Hochtäler, dann wurden die Bäume von einem zerknitterten Streifen Weideland abgelöst, und die hügeligen Wiesen endlich führten zum Meer, das ganz weit draußen am Horizont eine funkelnde Linie bildete. Bei dem Gedanken daran wurde Logen übel.
Zu Hause. Dort war seine Familie. Sein Vater – weise und stark, ein guter Mann, ein guter Anführer seines Volkes. Seine Frau, seine Kinder. Sie waren eine gute Familie. Sie verdienten einen besseren Sohn, einen besseren Mann, einen besseren Vater. Seine Freunde waren auch dort. Die alten und die neuen, alle beisammen. Es würde schön sein, sie alle wieder zu sehen, sehr schön. Mit seinem Vater in der großen Halle zu sprechen. Mit seinen Kindern zu spielen, mit seiner Frau am Fluss zu sitzen. Mit Dreibaum über Taktik zu reden. Mit dem Hundsmann in den Hochtälern zu jagen und dabei mit dem Speer durch den Wald zu preschen und wie ein Idiot zu lachen.
Plötzlich spürte Logen eine überwältigende Sehnsucht. Er hatte das Gefühl, er müsse daran ersticken, so sehr schmerzte es. Das Problem war, sie alle waren tot. Die Halle war ein Kreis verkohlter Bohlen, der Fluss verseucht. Er würde es nie vergessen, wie er über den Hügel gekommen war und im Tal unter sich die ausgebrannte Ruine erblickt hatte. Dort war er durch die Asche gekrochen und hatte nach Anhaltspunkten dafür gesucht, dass irgendjemand entkommen war, während der Hundsmann an seiner Schulter gezerrt und ihn beschworen hatte, damit aufzuhören. Dort lagen nur verfaulte Leichname, die nicht mehr zu erkennen waren. Er hatte es aufgegeben, nach Zeichen zu suchen. Sie alle waren tot, dafür hatten die Schanka gesorgt, und die verstanden was davon. Er spuckte in den Schnee; sein Speichel war braun vom Trockenfleisch. Tot und kalt und verfault oder zu Asche verbrannt. Wieder zu Schlamm geworden.
Logen biss die Zähne zusammen und ballte unter den schimmelnden Deckenstreifen die Fäuste. Er konnte zu den Ruinen seines Dorfes am Meer zurückkehren, noch ein letztes Mal. Er konnte mit wildem Kampfgebrüll dort hinunterstürmen, so wie er es in Carleon getan hatte, wo er dann einen Finger verloren und seinen Ruf gewonnen hatte. Er konnte ein paar Schanka aus dieser Welt befördern. Sie spalten, so wie er es mit Schama Ohnherz getan hatte, von der Schulter bis zum Unterleib, sodass die Gedärme herausquollen. Er konnte Rache nehmen für seinen Vater, seine Frau, seine Kinder, seine Freunde. Das wäre ein passendes Ende für jenen, den sie den Blutigen Neuner nannten. Tötend sterben. Das würde ein Lied geben, das es sich zu singen lohnte.
Aber in Carleon war er jung und stark gewesen, und er hatte seine Freunde bei sich
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