Kriegsklingen (First Law - Band 1)
geschlafen, nebenan. Ich habe leider überhaupt nichts mitbekommen …« Glokta sah ihn an, bohrend und ohne zu blinzeln, und versuchte aus ihm schlau zu werden. Der Zauberlehrling hustete und blickte zu Boden, als ob er sich fragte, wo er mit dem Saubermachen beginnen sollte.
So einer kann doch wohl den Erzlektor
nicht nervös machen? Ein miserabler Schauspieler. Seine ganze Art stinkt nach Betrug.
»Aber irgendjemand hat etwas gesehen, oder?«
»Nun ja, äh, Meister Neunfinger, nehme ich an …«
»Neunfinger?«
»Ja, unser Begleiter aus dem Nordland.« Der junge Mann wurde wieder munter. »Ein Krieger von großem Ruf, ein bekannter Kämpe, ein Fürst unter seinen …«
»Sie – aus dem Alten Kaiserreich. Er – aus dem Nordland. Sie sind ja eine ausgesprochen bunt gemischte Reisegruppe.«
»Ja, äh, haha, sind wir wohl, nehme ich an …«
»Wo ist Neunfinger jetzt?«
»Der schläft noch, glaube ich, aber, äh, ich könnte ihn aufwecken …«
»Wenn Sie so nett wären?« Glokta klopfte mit seinem Stock auf den Boden. »Es war ein ziemlich langer Aufstieg, und ich würde ungern später einmal wiederkommen müssen.«
»Nein, äh, natürlich … tut mir leid.« Quai eilte zu einer der Türen hinüber, und Glokta wandte sich ab und tat so, als unterziehe er die klaffende Wunde in der Mauer einer genaueren Untersuchung. Stattdessen verzog er das Gesicht vor Schmerz und biss sich auf die Lippen, um nicht wie ein krankes Kind zu wimmern. Mit seiner freien Hand packte er die zerborstenen Steine am Rand des Lochs und drückte sie, so sehr er konnte.
Als der Krampf wieder nachließ, begutachtete er den Schaden aufmerksamer. Selbst noch hier oben war die Mauer gut vier Fuß dick, solide aus mörtelverbundenem Kies errichtet und mit sauber behauenen Steinblöcken verblendet. Eine solche Bresche hätte nur mit einem Felsbrocken geschlagen werden können, der von einem äußerst mächtigen Katapult abgefeuert worden wäre; andernfalls hätten viele starke Männer eine Woche lang Tag und Nacht an diesem Loch arbeiten müssen.
Eine riesenhafte Belagerungsmaschine oder aber eine Gruppe Steinbrecher hätten sicher die Aufmerksamkeit der Wachleute auf sich gezogen. Wie also ist das geschehen?
Glokta fuhr mit der Hand über die gesprungenen Steine. Er hatte einmal das Gerücht gehört, dass man im äußersten Süden eine Art Sprengpulver herzustellen wusste.
Könnte man so etwas mit ein wenig Pulver geschafft haben?
Die Tür öffnete sich, und Glokta sah einen großen Mann, der sich unter dem Türrahmen hindurch duckte und sich das Hemd mit langsamen, schweren Händen zuknöpfte. Mit bedächtiger Langsamkeit.
Als ob er sich schneller bewegen könnte, aber es nicht für nötig hält.
Sein Haar war eine wirre Mähne, das grobschlächtige Gesicht stark zernarbt. Der linken Hand fehlte der Mittelfinger.
Daher also Neunfinger. Wie einfallsreich.
»Lange geschlafen?«
Der Nordmann nickte. »Ihre Stadt ist mir zu warm – nachts hält sie mich wach, und tagsüber macht sie mich schläfrig.«
Gloktas Bein pochte, sein Rücken schmerzte, und sein Hals war so steif wie ein trockener Ast. Er konnte nur versuchen, seine Qual für sich zu behalten. Liebend gern hätte er sich in den einen unbeschädigten Stuhl fallen lassen und aus vollem Hals geschrien.
Aber ich muss stehen bleiben und mit diesen Scharlatanen ein paar Worte wechseln.
»Könnten Sie mir erklären, was hier geschehen ist?«
Neunfinger zuckte die Achseln. »Ich musste nachts mal pissen. In dem Raum hier habe ich dann jemanden gesehen.« Er schien kaum Schwierigkeiten mit der Gemeinen Sprache zu haben, auch wenn das, was er sagte, nicht eben höflich ausfiel.
»Haben Sie gesehen, wer dieser Jemand war?«
»Nein. Es war eine Frau, so viel konnte ich erkennen.« Er dehnte die Schultern; offensichtlich fühlte er sich unbehaglich.
»Eine Frau, tatsächlich?«
Diese Geschichte wird mit jedem Augenblick alberner.
»Können wir unsere Suche vielleicht auf etwas weniger als die Hälfte der Bevölkerung einschränken?«
»Es war kalt. Unheimlich kalt.«
»Kalt?«
Natürlich, wieso nicht? In einer der heißesten Nächte des Jahres.
Glokta sah dem Nordmann lange in die Augen, und jener erwiderte diesen Blick. Dunkle, kühle, tief liegende blaue Augen.
Nicht die Augen eines Schwachsinnigen. Er mag wie ein großer Affe aussehen, aber er spricht nicht so. Er denkt nach, bevor er etwas sagt, und sagt dann nicht mehr, als er unbedingt muss. Ein gefährlicher Mann.
»In
Weitere Kostenlose Bücher