Kriegsklingen (First Law - Band 1)
langsam zurück. »Sand dan Glokta«, murmelte er, als müsse er sich einen Namen ins Gedächtnis rufen, den er einmal gehört hatte. »Was ist wohl aus ihm geworden, hm, West? Sie wissen schon, Ihr Freund, dieser schneidige junge Mann, gut aussehend, stolz, furchtlos? Hatte einen zauberhaften Schlag bei den Frauen? Von allen geliebt und respektiert, für große Dinge bestimmt? Wo ist er nur hin?«
West erwiderte den Blick, verwirrt und unsicher, und sagte nichts.
Glokta beugte sich mit einem Ruck zu ihm hinüber, die Hände auf den Tisch gestützt, und zog die Lippen hoch, um sein zerstörtes Gebiss zu zeigen. »Tot! Er starb auf jener Brücke! Und was ist geblieben? Eine verdammte Ruine, die seinen Namen trägt! Ein humpelnder, im Verborgenen herumschleichender Schatten! Ein verkrüppelter Geist, der sich ans Leben klammert wie Pissegeruch an einen Bettler. Er hat keine Freunde, dieses verabscheuungswürdige Überbleibsel, und er will auch keine! Verschwinden Sie, West! Gehen Sie zurück zu Varuz, und zu Luthar und den anderen oberflächlichen Arschlöchern! Hier gibt es niemanden, den Sie kennen!« Gloktas Lippen zitterten und versprühten vor Abscheu Speicheltröpfchen. Er war sich nicht sicher, wer ihn mehr anwiderte – West oder er selbst.
Der Major blinzelte, und seine Kiefermuskeln arbeiteten. Er stand wankend auf. »Es tut mir leid«, sagte er über seine Schulter hinweg.
»Das brauchen Sie mir nicht zu sagen!«, schrie Glokta und folgte ihm bis kurz vor die Tür. »Die anderen haben so lange zu mir gehalten, wie ich von Nutzen war, so lange es mit mir aufwärts ging. Das habe ich immer gewusst. Da war ich nicht so überrascht, dass sie nichts mehr mit mir zu tun haben wollten, als ich zurückkam. Aber Sie, West, von Ihnen habe ich immer geglaubt, Sie wären ein besserer Freund, ein besserer Mensch. Ich hatte immer gedacht, dass zumindest Sie – und auch nur Sie allein – kommen und mich besuchen würden.« Er zuckte die Achseln. »Aber da habe ich mich wohl geirrt.« Glokta wandte sich um und sah grimmig ins Feuer, während er darauf wartete, die Haustür zufallen zu hören.
»Sie hat es Ihnen nicht gesagt?«
Glokta sah sich wieder um. »Wer?«
»Ihre Mutter.«
Er schnaubte. »Meine Mutter? Was soll sie mir gesagt haben?«
»Ich war da. Zweimal. Sobald ich erfuhr, dass Sie zurückgekehrt waren, beschloss ich, Sie zu besuchen. Ihre Mutter wies mich am Tor Ihres Anwesens ab. Sie sagte, Sie seien zu krank, um Besucher zu empfangen, und ohnehin wollten Sie nichts mehr mit der Armee zu tun haben, mit mir schon gar nicht. Ich kehrte noch einmal zurück, ein paar Monate später. Ich dachte, das sei ich Ihnen mindestens schuldig. Dieses Mal kam ein Bediensteter und wimmelte mich ab. Später hörte ich, dass Sie zur Inquisition gegangen und nach Angland gereist seien. Ich verbannte Sie aus meinem Gedächtnis … bis wir uns trafen … an jenem Abend in der Stadt …« West verstummte.
Es dauerte einen Augenblick, bis die Bedeutung seiner Worte einsickerte, aber als das geschehen war, merkte Glokta, dass ihm der Mund offen stand.
So einfach. Keine Verschwörung. Kein Netz aus betrügerischen Intrigen.
Am liebsten hätte er gelacht, so dumm war das.
Meine Mutter hat ihn am Tor abgewiesen, und ich habe nie bezweifelt, dass ohnehin niemand kommen würde. Sie hat West immer gehasst. Ein höchst unpassender Freund, gesellschaftlich weit unter ihrem heiß geliebten Sohn. Zweifellos hat sie ihn für das verantwortlich gemacht, was mit mir geschehen war. Ich hätte darauf kommen müssen, aber ich war viel zu sehr damit beschäftigt, mich meinen Schmerzen und meiner Bitterkeit hinzugeben. Meiner tragischen Rolle.
Er schluckte. »Sie sind gekommen?«
West zuckte die Achseln. »Als ob das jetzt was ändert.«
Nun ja. Was können wir tun – vielleicht versuchen, es jetzt besser zu machen?
Glokta blinzelte und holte tief Luft. »Ich bin … ähm … es tut mir leid. Vergessen Sie, was ich gesagt habe, wenn das möglich ist. Bitte. Setzen Sie sich. Sie wollten etwas wegen Ihrer Schwester.«
»Ja. Ja. Meine Schwester.« West setzte sich umständlich wieder hin, sah zu Boden, und sein Gesicht nahm wieder diesen sorgenvollen, schuldbewussten Ausdruck an. »Wir brechen bald auf nach Angland, ich weiß nicht, wann ich zurück sein werde … ob ich überhaupt je zurückkomme … sie hat hier in der Stadt keine Freunde, und, na ja … ich glaube, Sie haben sie einmal getroffen, als Sie uns besucht haben.«
»Natürlich,
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