Kriegssinfonie Band 1: Soldat (Die Kriegssinfonie) (German Edition)
er vergessen hatte.
„Verdammt! Wenn ich mich nur erinnern könnte!“ Er schrie seinen Frust hinaus. Seine Stimme hallte lange von den Felsen wider. Der Himmel wurde immer dunkler, der Wind immer heftiger. Diese Nacht würde er nicht überleben. Verzweifelt krallte er seine Finger in den Kies, der unter seinen Knien lag. Es war kalt.
Schatten.
Das Stichwort tauchte unerwartet in seinem Kopf auf. Kaum hatte er es gedacht, fielen ihm die Schatten auf, die in der Umgebung kauerten und darauf warteten, dass er sie rief.
Shade zog seine Hände aus dem Kies und streckte sie, die Handflächen gen Himmel gerichtet, aus. „Kommt zu mir!“, gluckste er und kam sich vor wie eine Henne, die ihre Küken zu sich rief.
Ich verliere den Verstand.
Aber die Schatten ließen ihn nicht im Stich. Sie strebten zu seinen Händen, wickelten sich darum und kletterten an seinen Armen empor. Shade rief immer mehr zu sich, bis er seine Hände vor lauter Schwärze nicht mehr sehen konnte.
„Was jetzt?“, überlegte er laut. „Was soll ich mit euch machen? Ein schönes Schwert, um mein erbärmliches Leben zu beenden?“
Die Schattenknäuel um seine Hände erzitterten heftig.
„Das haltet ihr für keine gute Idee? Ich hätte sowieso keine Kraft dazu.“ Er stieß ein trockenes Lachen aus. Seltsamerweise konnte er damit nicht aufhören. Augenblicke später schüttelte es ihn vor Lachen.
Hysterisch. Absolut hysterisch.
Erst die aufkommende Erschöpfung beruhigte ihn schließlich.
„Holt mir die anderen her. Könnt ihr das? Los, los. Die verpassen den ganzen Spaß, wenn sie in alle Winde verstreut liegen!“ Fasziniert beobachtete er, wie sich die Schatten von seiner Haut lösten und davon wuselten. Sie glitten über Fels und Stein und verschwanden alsbald aus seiner Sicht. Lange musste er jedoch nicht warten. Bald tauchten die Umrisse seiner Freunde aus der Dämmerung auf. Es sah aus, als ob sie auf einem sanft dahinfließenden Strom trieben. Tatsächlich wurden die Körper von den Schatten getragen.
Verblüffend.
Als alle neun um ihn herum lagen, kamen die Schatten wieder zu ihm zurück.
„Das habt ihr brav gemacht. Und jetzt?“ Er zog seine Stirn in Falten, wobei die Blutkruste aufplatzte.
„Es ist saukalt. Wie wär’s mit einer Decke? Aber nicht nur für mich, sonst habe ich ein schlechtes Gewissen. Ah, herrlich.“ Er stieß einen wohligen Seufzer aus, als sich eine Vliesdecke über seine Schultern legte. Fast sofort fielen seine Lider zu.
Das Flackern eines Feuers drang durch seine geschlossenen Augen. Sofort war er wach.
Eine Ahnung überkam ihn, als er seine tot geglaubten Freunde dicht an ein Feuer gedrängt dasitzen sah.
„Was zur Hölle?!“ Er setzte sich ruckartig auf, vergaß dabei unglücklicherweise jedoch seine angeknacksten Rippen. „Sagt mir nicht, dass ich alles nur geträumt habe. Das wäre furchtbar peinlich“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Ivy rückte ein wenig zur Seite und schaffte so einen neuen Platz am Feuer. Sie klopfte mit der flachen Hand auf die Schattendecke, die sie als Schutz gegen die Kälte auf die Steine gelegt hatten. „Komm zu uns, du Held.“
Bereitwillig gehorchte Shade.
Wenn sie Held nicht ironisch gemeint hat, dann besteht die Möglichkeit, dass ich doch nicht durchgeknallt bin.
„Jetzt erklärt mir, was passiert ist.“ Er vollführte eine ausholende Geste zu den sitzenden Tempelbewohnern.
„Das haben wir dir zu verdanken“, meinte Ivy und strahlte ihn an.
„Ach ja?“
„Ja. Deine Decken haben uns so weit aufgewärmt, dass wir wieder zu uns kamen“, mischte sich Mythos in das Gespräch ein. Er sah ebenfalls ungewöhnlich heiter aus und nicht nur er – alle strahlten ihn an. Sogar Queens Lippen umspielte ein Lächeln.
„Ich verstehe das nicht. Ihr wart tot. Ich bin doch nicht dumm! Hättet ihr gelebt, hätte ich das gemerkt!“ Er vergrub das Gesicht in seinen Händen und rief sich die Bilder wieder ins Gedächtnis. Queens Gesicht: kalt, leicht bläulich verfärbt und durchscheinend, fast wächsern. So sah nur eine Tote aus! Jemand legte ihm einen Arm um die Schulter. Ivys beruhigende Stimme ertönte nah an seinem Ohr. „Shh, ist schon gut. Wir sind wieder da.“
Shade presste die Lippen zusammen.
„Jeder andere hätte uns ebenfalls für tot erklärt.“
Rock, der zu seiner Linken saß, klopfte ihm aufmunternd auf den Rücken. „Das ist der Sinn dieses Giftes, das uns der Lieutenant General gegeben hat: Schlangenblatt. Es
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