Kriegssinfonie Band 1: Soldat (Die Kriegssinfonie) (German Edition)
Gegenüber dann über den Rand ihres Glases hinweg an. Ein seltsamer Ausdruck lag in dessen Augen: Triumph, so schien es, gemischt mit einer Spur Sorge.
Warum? Er weiß es!
Der Gedanke durchzuckte sie vorwarnungslos.
Er weiß, wer ich bin und was ich kann?!
Ihre Hand begann so heftig zu zittern, dass das Wasser überschwappte. Sie wagte nicht, ihn direkt anzublicken und biss sich auf die Lippen, um nichts Unüberlegtes zu sagen.
Malik nahm Tau das Glas wortlos ab und stellte es auf die Kommode zurück.
„Ja, ich weiß, wer du bist, meine Liebe. Ich habe in den letzten dreißig Tagen genug Zeit gehabt, um Informationen über dich zu sammeln. Sie suchen dich fieberhaft. Aber sie werden dich hier nicht finden.“
Er lächelte und entblößte zwei Reihen makellos weißer Zähne.
„Warum?“, brachte Tau mühsam hervor.
„Welches Warum meinst du? Warum ich dich hier gefangen halte? Oder warum dich hier niemand findet? Mich interessiert mehr die Frage: Warum tötest du mich nicht, obwohl du es könntest?“ Er hob fragend eine Augenbraue.
Malik bemerkte, dass Tau zum Wasser schielte und sein Lächeln wurde breiter. „Über diesem Stuhl dort liegt ein Kleid. Wenn du magst, dann zieh es an und leiste mir Gesellschaft bei meinem Nachmittagstee.“
Er stand auf und die Matratze schnellte, nun befreit von seinem Gewicht, wieder hoch.
Tau starrte dem Mann mit großen Augen nach. Sie mochte hilflos aussehen. Nicht selten wurde sie von Gegnern unterschätzt. Doch sie wusste, dass Malik weder das eine von ihr dachte noch das andere tat.
Warum töte ich ihn nicht?
Sie konnte es sich nicht erklären.
Irgendetwas stimmt nicht mehr. Aber was? Warum bin ich bewusstlos gewesen? Was ist mit den anderen?
Ihre Hände krallten sich in den seidenen Bettbezug. Er fühlte sich angenehm kühl an unter ihren Handflächen. Ihr Blick fiel auf den Stuhl. Ein hellblaues Kleid lag darüber. Es war nicht raffiniert geschnitten, sah aber kostbar aus. Die Farbe sprach sie sofort an und ehe sie sichs versah, war sie auf den Beinen und fand sich vor dem Stuhl wieder. Im Moment trug sie ein langes Nachthemd, das aus dem letzten Jahrhundert zu stammen schien. Als sie sich nunmehr aufmerksam im Zimmer umsah, fiel es ihr auf. Nicht nur ihr Schlafanzug sah alt aus, sondern auch alles andere im Raum: Möbel, Teppiche, Kunstgegenstände …
Alt, aber nicht vernachlässigt.
Während sich jeder andere Mensch in einer solch antiken Umgebung womöglich unwohl gefühlt hätte, bewirkte sie in Tau ein behagliches, nostalgisches Gefühl.
Das letzte Jahrhundert … ja, sie konnte sich daran erinnern. Sie hatte es miterlebt.
Einem plötzlichen Impuls folgend griff sie sich das Kleid und streifte es, nachdem sie sich des Nachthemds entledigt hatte, über. Im Gegensatz zur gegenwärtigen Mode bestand es aus viel Stoff und war konservativ geschnitten. Es passte ihr wie angegossen.
Das Klirren von Geschirr machte Tau auf den Mann aufmerksam, der ihr dieses großzügige Geschenk gemacht hatte.
Ewig kann ich mich hier nicht verstecken, also kann ich genauso gut zu ihm hinausgehen. Er scheint mir nicht bösartig zu sein. Seltsam vielleicht, eigen, aber nicht böse.
Mit einem Seufzer schritt sie zur Tür und stieß diese auf. Bevor sie in den anderen Raum hineintrat, verschaffte sie sich einen Überblick. Er war größer als das Schlafzimmer. Die Mitte wurde von einem breiten, samtenen Sofa dominiert. Daneben stand ein passender Sessel. Ein altmodischer Salontisch aus Glas und lackiertem Holz nahm den Platz zwischen den Sitzmöbeln und einem breiten, steinernen Kamin ein. Das Feuer prasselte lustig, doch Tau fiel auf, dass das Licht von hohen Fenstern herrührte. Dieses Detail wunderte sie.
Wir sind noch im Palast.
Malik, der offenbar von einem Geräusch, das sie verursacht hatte, auf sie aufmerksam geworden war, wandte sich ihr zu. Er saß im Sessel und hielt eine Porzellantasse, aus der es dampfte, in den Händen.
„Wie ich sehe, ist meine Einladung angenommen worden. Setz dich.“ Er deutete mit seiner freien Hand auf das Sofa neben sich.
Tau nickte und folgte seiner Aufforderung. Ihre Röcke raschelten leise, als sie durch den Raum ging.
Sie wollte sich gerade niederlassen, als Malik plötzlich rief: „Nicht!“ Erschrocken fuhr sie wieder hoch.
Nach einem verwirrten Blick zu ihm besah sie sich das Sofa genauer. Es hatte die Farbe von Zitronengras und was Tau für ein flauschiges Kissen gehalten hatte, stellte sich als eine große, weiße
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