Kriegswirren
Obhut. Anscheinend vergißt sie zu viele der Regeln, die sie zu kennen behauptet.«
Alise sah Reanne mit noch immer unlesbarer Miene an. Alise, welche die Regeln der Schwesternschaft mit fester Hand durchsetzte. »Es gehört wirklich nicht zu unseren Regeln, Davongelaufene zurückzubringen, Reanne«, sagte sie.
Reanne zuckte zusammen, als wäre sie geschlagen worden. »Und wie sollen wir sie Eurer Ansicht nach festhalten?« fragte sie schließlich. »Wir haben Davongelaufene stets verborgen gehalten, bis wir sicher waren, daß sie nicht mehr gejagt wurden, und wenn sie vorher gefunden wurden, haben wir die Schwestern sie mitnehmen lassen. Das ist die Regel, Alise. Welche andere Regel sollen wir denn noch verletzen? Wollt Ihr vorschlagen, wir sollten uns tatsächlich gegen die Aes Sedai stellen?« Ihre Stimme verdeutlichte die Lächerlichkeit einer solchen Vorstellung, und dennoch stand Alise da und sah sie schweigend an.
»Ja!« rief jemand von den Frauen der Schwesternschaft. »Wir sind viele, und sie sind nur wenige!« Adeleas starrte ungläubig in die Menge. Elayne umarmte Saidar, obwohl sie wußte, daß die Stimme recht hatte - die Schwesternschaft hatte zu viele Mitglieder. Sie spürte, daß Aviendha die Macht ebenfalls ergriff und Birgitte sich dazu bereitmachte.
Alise schüttelte sich, als käme sie gerade zu sich, und tat dann etwas weitaus Vernünftigeres und gewiß weitaus Wirkungsvolleres. »Sarainya«, sagte sie laut, »Ihr werdet Euch bei mir melden, wenn wir heute abend rasten, mit einer Gerte, die Ihr selbst schneiden werdet, bevor wir aufbrechen!« Und dann sagte sie ebenso laut zu Reanne: »Ich werde mich Eurem Urteil stellen, wenn wir abends rasten. Ansonsten sehe ich nicht, daß sich irgend jemand bereitmacht!«
Daraufhin brachen die Frauen der Schwesternschaft rasch auf und eilten davon, um ihre Habe zusammenzuraffen, aber Elayne sah einige von ihnen dabei leise miteinander tuscheln. Als sie über die Brücke über den zugefrorenen Fluß ritten, der sich neben dem Dorf entlang wand, während Nynaeve ungläubig darüber nachsann, was sie verpaßt hatte, und nach jemandem suchte, den sie zur Verantwortung ziehen konnte, trugen Sarainya, Asra und auch Alise Gerten bei sich, während Zarya und Kirstian eiligst beschaffte weiße Gewänder unter ihren dunklen Umhängen trugen. Die Windsucherinnen zeigten auf sie und lachten schallend. Viele der Frauen der Schwesternschaft sprachen noch immer in Gruppen miteinander und schwiegen augenblicklich, wann immer eine Schwester oder ein Mitglied des Frauenzirkels sie ansah. Und sie blickten finster drein, wenn sie wiederum Aes Sedai ansahen.
Acht weitere Tage mühevollen Vorankommens durch den Schnee, wenn es aufgehört hatte zu schneien, und zähneknirschenden Abwartens in Gasthäusern, wenn es weiterhin schneite. Acht weitere Tage finsteren Brütens bei der Schwesternschaft und kalter Blicke zu den Schwestern, Tage, in denen Windsucherinnen um die Schwesternschaft und die Aes Sedai gleichermaßen herumstolzierten. Am Morgen des neunten Tages wünschte sich Elayne allmählich, alle würden einander einfach an die Kehle gehen.
Sie fragte sich, ob sie die letzten zehn Meilen nach Caemlyn ohne Mord überstünden, als Kirstian an ihre Tür klopfte und hereinfegte, ohne eine Antwort abzuwarten. Das einfache Tuchgewand der Frau war für eine Novizin nicht einmal annähernd weiß genug, und sie hatte tatsächlich einen Großteil ihrer Würde zurückerlangt, als wisse sie, daß ihre Zukunft ihre Gegenwart aufwog, aber jetzt vollführte sie einen hastigen Hofknicks und stolperte dabei fast über ihren Umhang, während ihre beinahe schwarzen Augen sie angstvoll ansahen. »Nynaeve Sedai, Elayne Sedai, Lord Lan sagt, Ihr sollt sofort zu ihm kommen«, richtete sie atemlos aus. »Er hat mir aufgetragen, mit niemandem sonst zu sprechen, und auch Ihr sollt mit niemandem sprechen.«
Elayne und Nynaeve wechselten Blicke mit Aviendha und Birgitte. Nynaeve grollte leise etwas über den Mann, der Privates nicht von Offiziellem trennen konnte, aber schon bevor sie errötete, war klar, daß sie es nicht so meinte. Elayne spürte, wie Birgitte sich konzentrierte, ein aufgelegter Pfeil, der auf ein Ziel gerichtet ist.
Kirstian wußte nicht, was Lan wollte, nur wo sie sie hinführen sollte. Es ging zu der kleinen Hütte außerhalb des Dorfes, wohin Adeleas Ispan in der Nacht zuvor gebracht hatte. Lan stand davor, sein Blick ebenso kalt wie die Luft, und wollte Kirstian nicht
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