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Kriminalgeschichte des Christentums Band 01 - Die Fruehzeit

Kriminalgeschichte des Christentums Band 01 - Die Fruehzeit

Titel: Kriminalgeschichte des Christentums Band 01 - Die Fruehzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karlheinz Deschner
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wertbezogener Entscheidungen stellen will, was nicht ohne krasse Widersprüche geschieht. 56
    Unser Leben aber ist nicht wertfrei, sondern werterfüllt, und die Wissenschaft, als Teil desselben, kann Wertfreiheit nur heucheln. Wir müssen von Tag zu Tag vergleichen, prüfen, entscheiden, warum sollten wir es ausgerechnet in der Wissenschaft nicht, einem Bereich, der nicht neben unserem Leben steht oder gar darüber, sondern der dazu gehört, der uns, die Menschheit und die Welt, gefährden oder fördern kann? Ich hielt Werke von Historikern in Händen, einer im Bombenkrieg umgekommenen Frau, manchmal zwei oder drei gefallenen Söhnen gewidmet, und manchmal schrieben diese Leute »reine Wissenschaft« weiter wie zuvor. Das ist ihre Sache. Ich denke anders. Denn selbst wenn es eine apolitische, werturteilsfreie Geschichtsforschung gäbe, was ich bestreite, wäre sie doch nicht wünschenswert, weil sie das ethische Denken untergräbt, der Inhumanität Vorschub leistet. Auch wäre eine solche »Forschung« eigentlich gar keine Forschung, kein Aufdecken von Zusammenhängen, sondern, wie Friedrich Meinecke betont, bloße Vorarbeit, reines Sammeln von Material. 57
    Inwieweit stimmt nun die Wirklichkeit der Geschichte mit meiner Darstellung überein?
    Ich lasse hier das erkenntnistheoretische Problem (samt der Struktur unsres Perzeptionsapparats) beiseite. Ich frage: inwieweit! Ich frage nicht: stimmt die Wirklichkeit der Geschichte mit ihrer Darstellung durch mich überein! Denn sagt Wittgenstein selbst von einem mathematischen Satz: »Nicht, daß er uns als wahr einleuchtet, sondern daß wir das Einleuchten gelten lassen, macht ihn zum mathematischen Satz«; sagt auch Einstein: »Soweit die Gesetze der Mathematik sich auf die Wirklichkeit beziehen, sind sie nicht gesichert; und soweit sie gesichert sind, beziehen sie sich nicht auf die Wirklichkeit« – wieviel mißtrauischer müssen wir die Geschichtsschreibung betrachten. 58
    Jeder Historiker nämlich schreibt in einem bestimmten politisch-gesellschaftlichen Bezugssystem, was sich unverkennbar in seiner Sicht niederschlägt, schon in seinen Auswahlmechanismen, seiner Selektion. Denn jeder »reißt aus dem Zusammenhang«, keiner kann das reale Objekt der Vergangenheit mit ihren niemals direkt faßbaren hochkomplizierten Ereignisketten, diesem gigantischen Geflecht aus Denken und Tun, aus den vielfältigsten ähnlichen und gegensätzlichen Vorgängen, Beziehungen, Prozessen, objektiv widerspiegeln, gleichsam naturgetreu abbilden. Jeder selektiert aber nicht bloß, jeder interpretiert auch, weshalb es nicht nur darauf ankommt, was einer aus der Historie thematisiert, sondern wie er es tut, wobei ich die formale Seite der Sache hier ignoriere – nicht als unwesentlich, sondern zu weitschweifig, verwirrend: die Art und Weise, wie der Historiker sprachlich die Geschichte offeriert, das jeweilige Modell seines Berichts, die gewählte literarische Gattung, den »Repräsentationstypus«, salopp: wie er »verformt«, »verfremdet«, »vergewaltigt«, nicht nur in bösem, auch in bestem Glauben.
    Wie jeder also, der Geschichte schreibt, habe ich grundsätzlich ausgewählt, »aus dem Zusammenhang gerissen« – der dümmste aller Vorwürfe, denn anders geht es nicht. Wie jeder habe ich auch innerhalb der Thematik noch einmal selektiert. Wie jeder habe ich die Träger des Geschehens, all die gekrönten, ungekrönten, selbstgekrönten Kriminellen, die Bischöfe und Päpste, die Heiligen, Feldherrn und sonstigen Geschäfte- und Geschichtemacher (denn aus Geschäften wird Geschichte), natürlich nicht mit allen Einzelheiten ihrer Vita erfaßt, all den Individualvorgängen, persönlichen Problemen, mit all ihren Amouren etwa (die freilich zuweilen nicht ohne Einfluß sind) oder mit allen Verdauungsbeschwerden – wiewohl auch sie manchmal auf die politischen Makroereignisse mehr wirken, als man glaubt. Doch wir kennen diese Beschwerden gewöhnlich nicht, und schon gar nicht wäre ihr Einfluß auf die Weltgeschichte eruierbar, nicht leicht jedenfalls – hier gibt es, wie auch sonst, noch wahrhaft tolle Chancen für Doktoranden und Habilitanden, ja, ein ganz neuer Wissenschaftszweig könnte sich auftun, könnte uns, neben der schon bestehenden Gerichtsmedizin, noch eine Geschichtsmedizin (nicht zu verwechseln mit der ebenfalls bereits etablierten, sehr lehrreichen Medizingeschichte) bescheren samt einer Fülle von Unterabteilungen und Themen wie: »Systematische Historie der Digestion

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