Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert
Erbe zu nehmen. Drohte er doch schon zuvor seinen katholischen Verwandten »viel Unglaubliches« an; zum Beispiel einen Angriff mit solcher Übermacht, »daß wenn dann der Rhein von ihren Pferden ausgetrunken sei, er selber das ausgetrocknete Bett dieses Flusses durchschreiten und Ludwigs ganzes Reich verwüsten werde« (Annales Fuldenses). 9
Zumindest den Ansatz dazu machte der Großsprecher. Suchte er ja sogleich sein Territorium im Osten zu erweitern. Die Hälfte des lotharingischen Reiches, die er dem Bruder hatte überlassen müssen, wollte er wiederhaben, vermutlich sogar bis zur Rheingrenze vordringen, also auch Ostfrankens linksrheinische Gebiete um Mainz, Worms, Speyer besitzen.
Er verhieß den Führern Lotharingiens, die er zum Anschluß auffordern ließ, reiche Lehen, drohte Renitenten mit »Ausrottung« und fiel, ungeachtet aller Eide, die er seinem Bruder geschworen, ungeachtet auch der Normannen, die mit hundert großen Schiffen Mitte September die Seinegegenden bedrängten, in das Reich des gerade Gestorbenen ein. Mit einem ansehnlichen Heer rückte er über Ostlotharingien und Aachen, das er mit der Illusion, das Reich seines Großvaters, Karls I., zu erneuern, gern zu seinem Hauptsitz gemacht hätte, nach Köln vor, so das Land plündernd und verheerend wie die skandinavischen Piraten; dabei immer begleitet von den beiden päpstlichen Legaten, Johann von Arezzo und Johann von Toskanella – »geistliche Helfershelfer des Raubzugs« (Mühlbacher).
Da die Attacke des Westfranken völlig überraschend geschah, da der älteste Sohn Ludwigs des Deutschen, Karlmann, gerade im Osten die Mährer bekämpfte, der jüngste, Karl, in Alemannien stand, eilte Ludwig (III.), dessen Gebiet auch zuerst gefährdet war, mit rasch zusammengerafften, zahlenmäßig weit unterlegenen Truppen aus Sachsen, Thüringen und Franken dem unersättlichen Onkel entgegen an den Rhein, nach Deutz, während Karl auf der anderen Seite des Stroms in Köln hielt. Ludwig schickte ihm Gesandte, beschwor die Verwandtschaft, Eide, Verträge, auch das kostbare Christenblut auf beiden Seiten, und suchte, verspottet vom Gegner, seine Truppe durch Fasten, Gebete, Bittgänge und die übliche Erkundung an höchster Stelle (je zehn Mann unterzogen sich dem Gottesurteil mit kaltem, mit heißem Wasser, mit glühendem Eisen) moralisch zu kräftigen – und natürlich »gingen alle unversehrt aus dem Gottesgericht hervor« (Annales Bertiniani).
Karl hatte Ludwig durch Verhandlungen hinhalten und den Waffenstillstand nutzen wollen, um den Gegner im Morgengrauen hinterrücks zu überfallen. Erzbischof Willibert aber verriet den Plan, und als das westfränkische Heer, 50000 Mann (»wie man erzählt«), nach einem erschöpfenden Nachtmarsch bei strömendem Regen am Morgen des 8. Oktober bei Andernach ankam, wurde es von den kampfbereiten Truppen Ludwigs attackiert. »Dieser legte sich sofort den Harnisch an«, so die Fuldaer Jahrbücher, und setzte »all sein Vertrauen auf den Herrn ...« Der gute alte christliche Brauch wieder: wer Gott vertraut, brav um sich haut, dem wird es stets gelingen ...
Und in der Tat: »Wie das Feuer über das Stoppelfeld fährt und in einem Augenblick alles verzehrt, so zermalmen sie die Macht der Gegner mit dem Schwert und strecken sie zu Boden« (Regino von Prüm). Der ganze Troß und sämtliche Schätze der Kaufleute fallen in die Hände der Sieger. Die aber nicht fliehen konnten, »wurden von den Landleuten dergestalt ausgeplündert, daß sie sich in Heu und Stroh wickelten, um nur die Schamteile zu verhüllen ...« (Annales Bertiniani). Unter den Gefangenen: des Kaisers Kanzler, Abt Gauzlin, und der Bischof Ottulf von Troyes. Die Beute ist ungeheuer, Waffen, Rüstungen, Pferde, das Gold und Silber der Großen sowie Karls mitgeschleppter Schatz. Er selbst, der, vorsichtig wie stets, den Kampf gemieden, flieht zum Abend des nächsten Tages nach Lüttich, angeblich »fast nackt« (pene nudus), wie der Mönch aus Fulda behauptet. Die Kaiserin, gleichfalls flüchtend, hat eine nächtliche Frühgeburt »beim Hahnenschrei auf offener Straße« (Annales Bertiniani). Das Kind, ein Sohn Karl, stirbt bald darauf, doch konnte seine Seele für den Himmel gerettet werden – und König Karl sich bald »erholen«: die Schlacht bei Andernach, die erste Schlacht zwischen »Deutschen« und »Franzosen« um den Rhein. 10
Nach diesem Debüt sozusagen der künftigen »Erbfeinde« zog der siegreiche Ostfranke zwar noch nach Aachen, war
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