Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert
jüdischen Leibarztes Sedechias gegen Fieber – »ein Pulver«, weiß der Verfasser der Jahrbücher von St. Bertin, »ein tödliches Gift«; »ein Betrüger«, der, so Abt Regino, die Leute »mit magischen Gaukeleien und Verzauberungen behexte« (magicis prestigiis incantationibusque ... deludebat). Todkrank gelangte Karl in einer Sänfte über den Mont Cenis und verschied an dessen Fuß in »einer elenden Hütte« (Annales Bertiniani) des Weilers Brides der Maurienne (Savoyen) am 6. Oktober 877 im Alter von 54 Jahren nach 37jähriger Regierung »an Durchfall in großem Jammer« (Annales Fuldenses). Einbalsamiert »mit Wein und allen möglichen Wohlgerüchen« wurde er weiterbefördert, wegen des Geruchs aber bald in ein Faß gelegt, das innen und außen verpicht und überdies in Leder eingenäht war. Trotzdem wurde der Gestank immer unerträglicher, weshalb man Karls des Kahlen Reste nicht, wie von ihm gewünscht, nach St. Denis überführte, sondern ihn zunächst so, wie er in dem Faß lag, im Kloster Nantua bei Lyon der Erde überließ. 14
Johann preist Karlmann und krönt Ludwig den Stammler
Nun sah sich der Papst, dessen ganze Pläne, den Kirchenstaat zur beherrschenden Macht Italiens zu erheben, mit dem Tod des Kaisers zuammenbrachen, schutzlos seinen Feinden gegenüber. Nach Karls Flucht und Tod fiel das Königreich Italien mühelos an seinen Neffen Karlmann. Und dieselben Bischöfe, die gerade erst in Ravenna Karl den Kahlen als den »christlichsten und mildesten« Kaiser gefeiert, ja, deren Banndrohung gerade auch Karlmann gegolten hatte, dieselben Bischöfe huldigten nun ihm. Ebenso der Papst, Inbegriff eines Opportunisten. Flott sprach er vom »unerforschlichen Ratschluß Gottes« und pries jetzt Karlmann als den einzigen Beschirmer der Kirche und ihren treuesten Verteidiger ...
Doch der Bayer war selbst geschlagen, wenn nicht schon vom Tod gezeichnet, jedenfalls schwer erkrankt, und im November zum Rückzug nach (Alt-)Ötting, seiner Pfalz, genötigt. Auch er trat die Heimkehr in einer Sänfte an. Und sein Heer schleppte eine schlimme, viele Opfer fordernde Seuche ins Frankenreich, wo bereits Epidemien gewütet, das »italienische Fieber« und eine Augenkrankheit, »so daß sehr viele am Husten die Seele aushauchten« (Annales Fuldenses). 15
In Italien aber meldeten sich jetzt die Markgrafen Lambert von Spoleto und dessen Schwager Adalbert von Tuszien, zwei eng verbundene Sippen, mit ihren Ansprüchen. Weder die Wut des Papstes half, noch seine Umschmeichelung Lamberts. Im Frühjahr 878 stand dieser, bald Johanns »einziger Beistand« und »getreuester Verteidiger«, bald der »Sohn des Verderbens«, wieder einmal plötzlich mit seinem Schwager in Rom, um Karlmanns Anerkennung durchzusetzen. Dreißig Tage hielten sie den Papst, der gegen die Kirchenräuber den Bannstrahl schleuderte, gefangen. Dann eilte Johann, der in Westfranken eine allgemeine Synode ausgeschrieben hatte, mit drei aus Neapel bezogenen Schnellseglern über Genua nach Arles. Und am 7. September krönte er in Troyes Karls des Kahlen Sohn, Ludwig II. den Stammler (877–879), zum König, obwohl der wegen seiner Krankheitsschübe kaum regierungsfähig war, obwohl ihn überdies Erzbischof Hinkmar, der geübte Coronator, erst am 8. Dezember des letzten Jahres schon in Compiègne gekrönt, und obwohl er soeben, im selben Jahr, seine Frau Ansgard, die ihm zwei Söhne, Ludwig III. und Karlmann, geschenkt, verstoßen und in zweiter Ehe, während seine erste Frau noch lebte!, die Tochter des Grafen Adalhard, Adelheid, geheiratet hatte, die 879 als Postumus Karl III. den »Einfältigen« zur Welt brachte. Immerhin krönte sie der Papst nicht, unterstützte aber Ludwig den Stammler durch die »Befestigungskrönung« (Schneidmüller) sowie mit Bannsprüchen gegen alle Feinde. Und schließlich verlangte er in seiner Schlußrede von Troyes – dem ersten Konzil in Anwesenheit des Papstes im Frankenreich nördlich der Alpen – von den Bischöfen, mit Waffengewalt seine Rückkehr nach Rom zu erzwingen.
Johann hatte die Synode am 11. August 878 eröffnet und dazu auch die drei ostfränkischen Könige nebst ihren Bischöfen erwartet, wollte er seinen Kaiserkandidaten doch vor einem großen Forum küren. Es kam aber niemand aus Ostfranken, ja, die Könige beantworteten die päpstlichen Schreiben gar nicht, Karlmann schwieg sogar nach einem zweiten Papstbrief, und aus Italien waren nur drei Bischöfe da; Johann hatte sie gleich selber
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