Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert
zu kontaktieren, zumal es schien, als könnte Italien wieder byzantinisch werden. Bari, durch Kaiser Ludwig II. anno 871 eingenommen, war bereits 876 wieder zu Byzanz gekommen, und dessen Generale in Unteritalien behielten oft die Oberhand; die griechische Herrschaft festigte sich.
So hatte der Papst, noch vor seinem Aufbruch ins Frankenreich, im April 878 einen Hilferuf auch an Kaiser Basileios I. (867–886) geschickt, einen weit rasanteren Karrieristen noch als Boso. Hatte der einstige Pferdeknecht doch alle Rivalen skrupellos beseitigt, auch seinen Gönner Michael III., der ihn 866 zum Mitkaiser krönte und den er – selbst ausgerechnet rechtsgeschichtlich von größter Bedeutung durch seine neue Rechtskodifikation – im Jahr darauf nächtens ermorden ließ (S. 221 f.).
Papst Johann wiederholte seine Kontaktnahme 879. Und er scheute sich nicht, für militärische Hilfe, für die avisierte Überlassung von Kriegsschiffen des oströmischen Herrschers und die Räumung des bulgarischen Missionsgebietes durch die griechische Reichskirche, den Patriarchen Photios, trotz aller früheren Bannflüche, als rechtmäßigen Patriarchen wieder anzuerkennen, ihn als Amtsbruder zu begrüßen und hoch zu loben. Dabei hatten ihn gleich zwei seiner Vorgänger unwiderruflich abgesetzt und feierlich verflucht! Hatte auch das bekannte VIII. Ökumenische Konzil in der Hagia Sophia 869/870 unter Leitung der päpstlichen Legaten bzw. des ehrenwerten Basileios I. persönlich die Absetzung des Photios bestätigt und die von ihm erteilten Weihen annulliert.
Nun, im Winter 879/880 erklärten Johanns Gesandte durch ihre Unterschrift auf einem Konzil, dem letzten der gesamten Kirche, jetzt allerdings unter der Regie des inzwischen rehabilitierten Photios, alles zu verfluchen, was sich seiner Anerkennung widersetzen würde! »Um Streitigkeiten zu vermeiden«, belehrt uns Theologe Bernhard Ridder (einst Generalpräses des internationalen Kolpingswerkes), »willigte der Papst unter gewissen Bedingungen ein«. Doch nur um Streit zu vermeiden, hat wohl noch kein Papst irgendwo eingewilligt, jedenfalls nicht in Vorgänge von solcher Relevanz. Tatsächlich war es einfach ein neuerliches Anpassen an die Verhältnisse, das überdies das Mißtrauen des Frankenkönigs Karl weckte, auch nicht zum Erfolg führte. Weder in Unteritalien, wo die Griechen zwar mit der Eroberung von Tarent 880 die für sie wichtige Ostküste wieder beherrschten, aber die Westküste weiter den Arabern überließen; noch im Bulgarenreich, das auch künftig der griechischen Kirche unterstand (S. 219 ff.). 21
Daniel-Rops freilich, der katholische Kirchenhistoriker, sieht nicht den Heiligen Vater in einen einzigen Sumpf von Korruption, Kabalen, Verschlagenheit hineingezogen, sondern lediglich seine Akteure, alles um ihn herum. »Rings um ihn wimmelte es von politischen Intrigen.« Er selbst thront, ein so alter wie plumper, durch alle Zeiten strapazierter Apologeten-Trick, wie die leibhaftige Unschuld inmitten. (»Der Führer weiß das nicht.«) 22
Von Karlmann zu Karl III. dem Dicken
In Wirklichkeit war dieser Papst der verkörperte Opportunismus. Ließ er sich doch fast mit allen ein, je mächtiger, desto lieber. Lockte, schreckte, beschwor er noch jeden, der ihm gerade passend schien, schickte Schreiben, Legaten, flehte um Rettung, Hilfe, schmeichelte, verhieß Freundschaft, ewiges Seelenheil, sicherte jedem die Krone zu, die »alle Königreiche unterwerfe«. Und als er von Karlmann, dem Siechen, der Sprache Beraubten, dem unheilbar Kranken nichts mehr erhoffen konnte, nötigten diesem seine Legaten eine Verzichterklärung zugunsten Karls ab, seines Bruders, nicht nur jünger, auch williger, gefügiger, brauchbarer für den Heiligen Vater. Und als man in Ostfranken sich einig geworden, Karl III. von Schwaben (dem Dicken) Italien zu überlassen, beteuerte ihm der Papst: »In Bezug auf Boso sollt ihr euch versichert halten, daß er weder ein freundschaftliches Entgegenkommen noch Beistand von unserer Seite bei uns haben und finden wird, weil wir euch als Freund und Helfer gesucht haben und mit ganzem Herzen euch als unseren teuersten Sohn halten und hegen wollen.«
Er erklärte nun Boso, seinen Adoptivsohn, inzwischen König der Provence und mit all seinen dortigen Bedrängnissen, Schwierigkeiten für ihn unnütz, zum Tyrannen. Dagegen krönte er Karl III. den Dicken im Januar 880 auf einer Reichsversammlung in Ravenna in Anwesenheit der Magnaten und Bischöfe des Landes
Weitere Kostenlose Bücher