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Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert

Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert

Titel: Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karlheinz Descher
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»Reichsinsignien« (deren Besitz die Rechtmäßigkeit der Herrschaft auswies) »lange den vornehmsten Platz« ein (Althoff/Keller). Allerdings wurde diese Heilige Lanze mal als Konstantinlanze ausgegeben, mal als Lanze des Longinus, der in der Passionsgeschichte die Seite des Gekreuzigten einstach, später, so erzählte man, (samt dem von ihm bekehrten Kerkermeister) selbst Märtyrer wird, und den man darum sinnigerweise beim »Blutsegen« anruft, beim Besprechen von Blutungen und Wunden. Endlich gilt die Heilige Lanze seit dem 11. Jahrhundert auch als Lanze des hl. Mauritius, eines prominenten, von den Franken als »Kriegsheiligen« verehrten und zum »Reichsheiligen« gemachten Märtyrers, der – in der christlichen Heldensage! – unter Diokletian in der Schweiz als Führer der Thebäischen Legion samt nicht weniger als 6600 weiteren Märtyrern glorreich umgekommen war (S. 460): – ein Schwindel reiht sich in dieser Kirchen-, Heiligen- und Märtyrergeschichte an den anderen, und oft ist einer größer als der andere.
    Die heilige Rarität, in der sozusagen drei Heilige Lanzen in einer Heiligen Lanze steckten (wie in dem einen Dionysius drei komplette Heilige – ja, oder wie in der einen göttlichen Person drei göttliche Personen ...), dies »unschätzbare Geschenk des Himmels«, neben dem es natürlich weitere, auch auf Kreuzzügen (1098, 1241) mitgeführte (doch weniger wirksame) Heilige Lanzen gab, zierte seitdem den Kronschatz der deutschen Könige und soll 1938 von Wien in die »Stadt der Reichsparteitage« Nürnberg gebracht worden sein. Heute ruht sie jedenfalls wieder in der Schatzkammer Wiens, brächte aber als Gegengabe kaum noch einen »nicht geringen Teil des Schwabenlandes« oder auch nur die Stadt Basel ein. Damals freilich verbürgte das »Kleinod«, die »Trägerin einer höchst kostbaren Reliquie ... als Herrschaftssymbol dem sehr handfest gläubigen König herrscherliche Siege« (Kämpf) – vor allem wohl seinen Triumph, wobei man sie dem Heer vorantrug, über die Ungarn im Jahre 933, wofür Heinrich den 15. März gewählt hatte, den Tag des hl. Longinus ... 9
    Ob nun aber König Heinrich I. sich mehr, nach Widukind, durch die »Gnade Gottes« geleitet sah oder durch das »geopolitische
Gesetz der Elbe«
(Lüdtke), er stürzte sich schließlich mit wahrer Wut und Wonne auf die Heiden, indem er eine Reihe verheerender Feldzüge gegen die Elbslawen unternahm, von Erzbischof Adalbert von Magdeburg deshalb als »Anhänger des Friedens« gefeiert.

Vom Höllenfrieden der Christen und von ihren »Grundwerten«

    Der Friede bekam (nicht nur damals!) ein ganz bestimmtes Gesicht für gewisse Kreise, besonders für die kirchlichen – »eine pax, die nicht in der bloßen Abwesenheit von Krieg und Zerstörung bestand, sondern das irdische Gegenstück zur civitas celestis bildete, in welcher
iustitia,
die ›rechte Ordnung‹, überall herrschte und nirgendwo entstellt oder gestört wurde« (Bullough). Es kann also sehr wohl in so verstandener »pax« durch Kampf und Grauen drunter und drüber gehn, ja, es muß geradezu Krieg geben, wird »iustitia«, die »rechte Ordnung« verletzt, eben die christliche.
    Das ist, unschwer zu zeigen, noch heute so.
    Frieden um jeden Preis kennt die christliche Geschichte nicht. »Freiheit«, »Ordnung«, die »christlichen Grundwerte« müssen gewahrt, müssen verteidigt werden – notfalls bis aufs Blut, bis zum totalen Ruin selbst des zu Verteidigenden. Gegen »gewissenlose Verbrecher« erlaubte Papst Pius XII. sogar den Atom-, ja den ABC-Krieg. Und dies, so damals sein Interpret Jesuit Gundlach, Professor (und zeitweilig Rektor) der päpstlichen Gregoriana in Rom: bis zum »Untergang eines Volkes« – ging doch schon mehr als ein Volk mit intensiver kirchlicher Beihilfe unter (II 415 ff., 424 ff., IV 485 ff.) – ja bis zum Untergang der ganzen Welt, da für das von ihnen dann erlaubte Weltende Gott »auch die Verantwortung übernimmt«. – Glücklicherweise kennen wir um das Jahr 2000 gar keine Kriege mehr, leben wir in einer ganz und gar friedlichen Zeit: es gibt nur noch »friedenschaffende« und »friedenerhaltende« Maßnahmen ...
    Doch schon seinerzeit, als man schlicht und frei heraus Krieg führte, nahezu Dauerkrieg, ging es eigentlich stets um den »Frieden«, wurde die pax immer mehr, besonders unter Otto I., zu einem Standardbegriff christlicher Politik, angebliches Ziel jeder (defensiven oder offensiven) Heidenabschlachtung. 10

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