Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert

Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert

Titel: Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karlheinz Descher
Vom Netzwerk:
und Dresden wohnenden Daleminzier, die schon Karl »der Große«, die auch Heinrich selbst in jungen Tagen im Auftrag seines Vaters und noch einmal 922 bekämpft hatte und deren Hauptburg Gana (nach Jahna benannt, einem linken Nebenfluß der Elbe bei Riesa) er erst nach zwanzigtägiger Belagerung erstürmen konnte, worauf er sie dem Erdboden gleichmachte. Sämtliche Männer, vielleicht auch Frauen und Kinder, wurden erschlagen – nach Widukind alle Erwachsenen (puberes) niedergemacht, Knaben und Mädchen in die Sklaverei geschleppt. Zur Sicherung seiner Herrschaft errichtete der deutsche König dort auf einer Anhöhe 40 m über der Elbe die Burg Meißen (Misni), eine Festung von beträchtlicher strategischer Bedeutung. Und von kirchlicher, da hieran das spätere Bistum anknüpft. Die politische Rolle der Daleminzier war damit beendet.
    Noch im selben Jahr, am 4. September 929, schlachtete ein sächsisches Heer, vor allem durch die Überlegenheit seiner Panzerreiter, die aufständischen Slawen bei Lenzen rechts der unteren Elbe, einer Sperrfeste in der Priegnitz. Quellen melden, sehr übertrieben, 120000, ja 200000 gefallene Wenden; zumeist waren es Fliehende und Gefangene, die man umbrachte, abstach oder in einen See trieb und ertränkte. Jedenfalls: man »schlug sie so, daß nur wenige entkamen« (Bischof Thietmar). »Von dem Fußvolk kam keiner davon, von der Reiterei nur sehr wenige, und so endete die Schlacht mit dem Untergang aller Gegner« (Mönch Widukind). Nach ihm fechten bei Lenzen die Barbaren, wie die Slawen immer wieder heißen, schlicht gegen das »Volk Gottes«, dessen Angesicht »Helle und Heiterkeit« umstrahlt – das gute Gewissen, das der Klerus in allen Kriegen zu seinen Gunsten seiner Soldateska attestiert. Am nächsten Tag fiel Lenzen –»durch Gottes Huld und Gnade ein herrlicher Sieg«. Sämtliche Einwohner wurden versklavt, Frauen und Kinder nackt weggetrieben. Die Besatzung der Burg, der an dem einzigen, strategisch wichtigen Elbübergang zwischen Bardowieck und Magdeburg gelegenen Hauptburg der slawischen Linonen, wurde, trotz Zusicherung freien Abzugs, geköpft – »man kannte keine Schonung, nur Vernichtung oder Knechtschaft« (Waitz).
    Eine »Großtat der Kriegsgeschichte«, so ein Historiker der Nazizeit; geleistet durch den »Größten unter den Königen Europas« (regum maximus Europae), wie sich schon Mönch Widukind vernehmen ließ. Feierte doch auch Bischof Thietmar den Schlächter als einen, »der die Seinen klug zu behandeln wußte, Feinde aber schlau und mannhaft zu überwinden verstand«. Ja, es waren die gloriosen Jahre 928 und 929, in denen »die gewaltige, wahrhaft heroische Gestalt«, »die revolutionäre, schicksalgestaltende Größe Heinrichs I.«, »der Schöpfer des Reiches, der große deutsche König und Mensch« »seine schöpferische Ostpolitik begann« und jenen Boden gewann, »den nun der deutsche Mensch gestalten, den das lebendige Blut unzähliger Geschlechter arthaft und heimatlich formen durfte« (Lüdtke). Aber auch Richard Wagner rühmte Heinrich I. im »Lohengrin«: »Ruhmreich und groß dein Name soll / von dieser Erde nie vergehn!« 16

»...weil der Soldat nach Verwesung stinkt« – Bischof Thietmar »auf der Höhe der Bildung seiner Zeit«

    Stolz meldet der Chronist auch den Schlachtentod »zwei meiner Urgroßväter namens Liuthar« bei Lenzen, des Liuthar von Stade und Liuthar von Walbeck; »treffliche Ritter von hoher Abkunft, Zierde und Trost des Vaterlandes ...« Dieselben Phrasen – durch die Jahrtausende: vom alten Rom (hier präsent durch dessen »Nationalepos«, Vergils Aeneis 10, 858 f.) bis zur entsprechenden Weltkriegspropaganda (man vgl. »Die Politik der Päpste im 20. Jahrhundert« I 236 ff.!, II 112 ff.) – semper idem. Das Entscheidende jedenfalls, das Geschichts-Notorische, -Normierende: die kolossale Verdummungs-, Unterjochungs-, die Kriminal- und Katastrophenhistorie, besonders auch das völkerverblödende Glorifizieren und Sanktifizieren all der unsäglichen Schlacht- und Abstechungsorgien, das wiederholt sich immer wieder – selten so drastisch und gut gegeißelt wie in Brechts »Ballade vom toten Soldaten«:

    »Und weil der Soldat nach Verwesung stinkt,
    drum hinkt ein Pfaffe voran,
    der über ihn ein Weihrauchfaß schwingt,
    daß er nicht stinken kann.«

    Eben dies Weihrauchfaß schwingt auch Bischof Thietmar von Merseburg, indem er unmittelbar nach der Erinnerung an seine Urgroßväter, die »Zierde und Trost des

Weitere Kostenlose Bücher