Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert
eines gewissen Mannes ergötzte« (Liutprand), wahrscheinlich durch die Aufmerksamkeit des betrogenen Gatten – oder, wie es auch gut heißt, durch einen »Schlaganfall«. Und dies sogar »ohne daß er die heilige Wegzehrung empfangen« (Seppelt). 72
»Durch seine Wiedereinsetzung hatte die Vorsehung sein Recht geschützt, durch seinen plötzlichen Tod seinen unwürdigen Wandel bestraft.« So erklärt die katholische Kirchengeschichtsschreibung das weise Handeln der »Vorsehung«. Aber wäre die nicht weiser gewesen, hätte sie Johann XII. seinen Sturz, der Kirche seinen skandalösen Wandel erspart – und uns das Papsttum überhaupt? 73
Tumulte und Greuel in Rom und in der Geschichtsschreibung
Die Römer kürten nun, die geleisteten Schwüre rasch vergessend, einen Kardinal, der nicht nur Johann XII. mit amtsenthoben, sondern auch seinen eigenen Vorgänger Leo mitgewählt hatte: Benedikt V. (22. 5. – 23. 6. 964, gest. 966). Er wurde inthronisiert, und man versprach, ihn nie zu verlassen, ihn unter allen Umständen zu verteidigen. Doch der Kaiser wollte seinen Papst. Er führte Leo VIII. zurück, plünderte, verwüstete das römische Gebiet und belagerte im Juni 964 die Stadt, in der trotz Feuersbrünsten, Hungersnöten, Seuchen, Papst Benedikt, »ein durchaus würdiger, frommer Mann« (Seppelt), die Römer zur Verteidigung trieb. Er beteiligte sich persönlich, stieg auf die Mauern, stachelte die Seinen an und schleuderte gegen das Belagerungsheer seine Bannflüche. Aber von Übermacht, Hunger und Not bezwungen, öffneten die Eingeschlossenen am 23. Juni die Tore, lieferten Benedikt aus und gelobten dem Kaiser und Leo VIII. erneut über dem Grab St. Peters Treue. Benedikt V. freilich, »der Eindringling« (invasor: Liutprand), wurde auf einer Synode im Juni 964 öffentlich als Usurpator verurteilt. Papst Leo nahm ihm die Insignien der sogenannten Würde, »riß ihm das päpstliche Pallium, das er sich angeeignet hatte, ab, entriß seiner Hand den Bischofsstab und zerbrach ihn vor den Augen aller in Stücke«. Der abgesetzte Papst wurde zum Diakon degradiert, auf ewig exiliert und wanderte nach Hamburg in die Verbannung, wo er schon am 4. Juli nächsten Jahres starb. 74
Nach Leos Tod 965 ging es in Rom mit den üblichen Tumulten weiter. Kaisertreue und kaiserfeindliche Päpste lösten einander in rascher Folge ab, einer bekämpfte den andern, verbannte, verstümmelte, mordete. Auf einer Synode französischer Prälaten 991 zu Reims sah Bischof Arnulf von Orleans in einem der schärfsten mittelalterlichen Angriffe auf das Papsttum dieses sehr deutlich in völliger Verkommenheit, in Verbrechen, Schande, sah die Gegenwart durch das päpstliche Rom »mit so schrecklicher Nacht geschwärzt, daß sie noch in Zukunft berüchtigt sein wird«. Man wußte damals den »Antichrist in Rom« schon seit Jahrhunderten am Werk – während uns Jesuit Hertling noch Mitte des 20. Jahrhunderts weismachen möchte: »An diese unerhörten Skandale darf man keine heutigen Maßstäbe anlegen.«
Doch das kann man
immer
sagen. Und das sagt man auch immer. Damit läßt sich
alles
bagatellisieren. Und deshalb ist dies nur eine bis heute allerwärts nachgepappelte Ordinarienbetise, nein, schlimmer – denn wer schon ist so dumm! – pure Heuchelei. Derart läßt sich – in fünfzig, in fünfhundert Jahren – auch die Etablierung und Förderung des Faschismus durch die Päpste rechtfertigen. Oder die wiederholte Erlaubnis des ABC-Krieges, des Einsatzes atomarer, biologischer, chemischer Waffen durch Papst Pius XII ....
Keine heutigen Maßstäbe anlegen? Situativ, temporär verstehen? Den Geist der Zeit begreifen? Aber wer oder was ist das? War und ist das denn nicht stets »der Herren eigner Geist«, der seit Jahrhunderten schon existente christliche Geist? »Wir sind die Zeiten; wie wir sind, so sind die Zeiten.« Kein anderer als Augustin schrieb das (I 55 ff.!). Und Johannes Haller, der große Papsthistoriker, insistiert: »Es war schon nicht anders: was sich damals heilige apostolische römische Kirche nannte, stellt sich dem Betrachter dar als ein Gebäude sehr weltlicher Herrschaft, wo unter dem Decknamen Sankt Peters der Ehrgeiz und die Habsucht um Thron und Ämter ringen, wo dieselben Waffen wie anderswo gebraucht werden und der Kampf um die Macht noch rohere, abstoßendere Formen annimmt als irgend sonst.« Und Haller zitiert – trotz jener »fast literaturlosen Zeit« – Zeitgenossen, die es schon einst so empfanden wie wir.
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